EIN „WILDES KRAUT“ WIRD KULTIVIERT
Der erste Schritt zur Europäisierung des Tabak- und Pfeifengenusses war wohl die Verkleinerung der Füllvolumen. Zeigen erste Bilder rauchender Engländer immer noch Pfeifen, die dem Calumet sehr ähnlich sehen und über ein riesiges Fassungsvermögen verfügen, dürfte die Verkleinerung der Köpfe schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts weit fortgeschritten gewesen sein. Ein englischer Reisender, der 1602 Elisabeth-Eiland besuchte, zeigte sich nämlich erstaunt über die Pfeifengrößen der Ureinwohner und schilderte, dass sie „zehn-zwölfmal so viel Tabak fassen, als die Pfeifen bei uns daheim.“
Um diese Zeit gab es in England übrigens Rauchschulen, an denen Damen und Herren im Zerbrechen der Blätter unterwiesen wurden und lernten, wie man diesen, doch recht groben und völlig unbehandelten Mix in der Pfeife glimmend halten konnte. Was man ihnen ebenfalls beizubringen versuchte, war, den Rauch nicht zu schlucken. Das war neu. Hatte man bislang jede Gaumenfreude, ob beim Essen oder Trinken, doch mit dem Schlucken zum vollständigen Genuss gebracht. Aus der Sitte, nun auch den Rauch zu schlucken, entstanden die zeitgenössischen Berichte von Trunkenheit und Rausch beim Rauchen. Ganze Gruppen von Wachauer Bauern torkelten nach dem Genuss des, neu von der Messe erworbenen, Krauts gegen Wände, rissen gedeckte Tafeln um oder lagen apathisch grün vor Übelkeit in den Ecken der guten Stube. So erzählt eine Geschichte, die überliefert ist.
Es besteht für heutige Pfeifenraucher und geneigte Leser auch kein Grund, nun schadenfreudig zu grinsen. Müssten wir heute das Blattgut genießen, das damals zur Verfügung stand, ginge es uns nicht anders. Völlig unbehandelt und stark, wie ein Büffel waren die Tabake dieser Zeit. Derb und in rauhen Mengen genossen, hatten sie entsprechende Wirkung.
Dagegen war in England den höheren Kreisen um Raleigh doch schon früh und intensiv die Kultivierung des Rauchens ein hohes Ansinnen. Nach dem Wahlspruch „ To blow a pipe sociably“ waren Ruhe und Aufmerksamkeit beim Genuss ebenso Gebot, wie das dazu gehörende, geistige Gespräch.
Trotzdem wurde bald Kritik an der doch recht ungehobelten Ursprünglichkeit des Tabakkrautes laut. Scharf, kratzend und eher bitter der Geschmack und auch der Geruch ließ sich, selbst mit großem Wohlwollen, nicht als Duft umschreiben. DAS musste doch besser gehen !?

Um 1605 kamen allerlei Beizen in Mode, mit denen der Raucher seine Kräuter behandelte. König Jakob, der Erste, klagte in einem Erlass darüber, wie viel Geld seine Landsleute nicht nur für ihren Tabak verwenden würden, sondern, dass sie darüber hinaus noch mehr in Saucen und Beizen investieren würden, um selbigen zu veredeln.
Honig, Zwetschgen-und Rosinenwasser , Koriander, Nelken, Rosenblätter und –wasser. Was wurde nicht alles versucht, um Geschmack und Geruch zu beeinflussen.
Mit zunehmender Erfahrung fanden sich aber auch Leute, die das Problem anders und somit richtig angingen. Man ließ Tabak reifen, fand heraus, wie dieser Prozess ihn beeinflusst und probierte verschiedene Schnittarten, statt nur Blattstücke in die Pfeifen zu stecken. Schnell wurde es gebräuchlich, Tabakblätter zu einer Rolle zu wickeln, quasi ein Tabakseil von etwa einem Zoll Durchmesser zu formen und es dann auf einer Haspel aufzurollen. Das nannte sich „Spun“ und diese handliche Form des Tabaks setzte sich rasch durch. Man kaufte Stücke dieses „Seils“ und schnitt sich Scheiben davon ab, die man in die Pfeife gab. Der „Spun-Cut“ war geboren.
Nicht lange danach konnte man bei den Händlern Tabakblätter erwerben, die bereits in feine Streifen, die sogenannten Ribbons, geschnitten waren. Teilweise fanden sich in diesen Zubereitungen sogar verschieden vorbehandelte Blätter als Mixtur und sie waren durch leichte Röstung vorbehandelt, um leichter und gleichmäßiger zu glimmen. Diese Rauchgenüsse waren mit dem ursprünglichen Tabak kaum noch zu vergleichen.

Parallel dazu entwickelten sich natürlich auch die Pfeifen. Den Holländern war ein ganz großer Wurf gelungen. Sie, die große Erfahrung in der Töpferei hatten, formten Pfeifen aus dem vorzüglichen Ton, den man rund um Gouda gewann und brannten sie . Eher kleinere Köpfe kombinierten sie mit langen Stielen. Das kühlte den Rauch und der poröse Ton nahm wunderbar die scharfen, öligen Bestandteile der oft schweren Tabake auf. Das ergab ein wunderbar mildes Raucherlebnis und galt als Krönung des Tabakgenusses. Wer heute eine, der noch existenten, holländischen Tabakmischungen, wie den „Heerenbai“ oder auch den „Amsterdamer“ genießen möchte, sollte das aus einer Tonpfeife tun. Diese Kombination gehört seit Mitte des 17. Jahrhunderts zusammen und sollte schon aus Respekt und Feinempfinden gegenüber dieser Tradition nicht getrennt werden.
Um 1630-1640 war der Tabakgebrauch endgültig den Kinderschuhen entwachsen. Allerorten bemühte man sich um weitere Kultivierung und das Rauchen der geliebten Pfeife wurde zum Synonym für Gemütlichkeit, Geselligkeit und Friedfertigkeit schlechthin.

Das galt auch für die Türkei. Dort allerdings wurde der Kult noch einmal auf die Spitze getrieben. Nicht nur, dass dort ( ob der klimatischen Vorteile) die Tabak-Kultivierung am weitesten war, man schuf schon im ersten Jahrhundert des Anbaus eigene Kreuzungen…und man erfand Tschibuk und Nargileh.
Die Tschibuk verfügte über einen Tonkopf aus der roten Erde des Balkans, daran befanden sich zum Teil unglaublich lange Stiele aus Kirschholz oder Jasminstöcken, gekrönt von einem Bernstein-Mundstück und umwickelt und verziert mit Massen von Gold, Silber und Edelsteinen. Eine Pfeifenpracht, die es vorher und nachher nie mehr gab.
Die Nargileh war auch oft prächtig verziert, doch, ihre Besonderheit war, dass der Rauch durch einen, mit Wasser und allerhand Duftwässerchen gefüllten Kessel gezogen wurde. Sie war die Urahnin der, heute so beliebten, Wasserpfeife. Aus ihr machte man ebenfalls Prunkstücke. Gravurarbeiten, Bernstein, Gold und anderes Geschmeide sorgten auch hier für den luxuriösen Auftritt.

Von diesem Reichtum und der verschwenderisch vielen Zeit für den Pfeifengenuss konnte man, zu diesen Zeiten, in Deutschland und Österreich nur träumen. Die Folgen des dreißigjährigen Krieges und der Türkeneinfälle waren ebenso hart zu spüren, wie ein quasi nicht stattfindender Überseehandel. Das machte sich auch in der Entwicklung von Tabak und Pfeife bemerkbar.
Man war beinahe ein Jahrhundert im Tabakerleben zurück und befand sich etwa auf dem Niveau der englischen „Smoking-Partys“ um 1610.
Das merkte man auch dem, aus deutscher Sicht, bedeutensten Pfeifentreffen seinerzeit an, dem „königlich-preußischen Tabakskollegium“, dass Friedrich Wilhelm, der Erste, gern von Zeit zu Zeit einberief.
Dort traf sich der „Soldatenkönig“ mit Grumbkow, Knobelsdorf und Co. an schweren Eichentischen. Man rauchte, aß und zechte frei von höfischen Regeln bis tief in die Nacht. Dort sollen manche, als schwer lösbar geltende Probleme in fröhlicher Runde in Rauch und Bierdunst aufgegangen sein.

Man rauchte amerikanische Tabake, aber auch „Amersfoorter Blätter“, beides aus Holland importiert und seinerzeit in Deutschland der Gipfel der Rauchgenüsse…und gern aus „Cölner Tonpfeifen“, die zwischenzeitlich die Qualität ihrer holländischen Vorbilder durchaus erreichten. Einzelne rauchten aber auch die „ganz neue Mode“, den Meerschaum.
In den zwanziger Jahren des 18.Jahrhunderts brachte nämlich der Graf Andrassy von seiner Balkanreise ein seltsames Stück weißliches Mineral mit nach Budapest. Da er nicht so recht etwas damit anzufangen wusste, brachte er es dem Schuhmacher und Schnitzer Karl Kovacs. Er fragte den guten Karl, ob er daraus was Hübsches schnitzen könne. Kovacs war leidenschaftlicher Raucher und wusste, dass der Graf diese Leidenschaft teilte. Also schnitzte er aus dem weißen Stein zwei Pfeifen. Listig, wie er war, natürlich eine für sich. Ihm war aufgefallen, wie porös der Stein war und wie gut er sich deshalb, vielleicht noch besser, als Ton, zur Pfeife eignen würde. Bei der Betrachtung der fertigen Pfeifen fiel ihm allerdings eine Pfeife in einen Klecks Schusterwachs. Daher behielt er diese für sich und trug das mängelfreie Exemplar zum Grafen.
Dieser war nach wenigen Rauchversuchen ebenso begeistert, wie Kovacs selbst. Der Schuster aber bemerkte, dass seine Pfeife sich bald schon zu verfärben begann, einen Bernsteinton besonders an der Stelle annahm, wo sie ins Wachs gefallen war. Er teilte dem Grafen seine Entdeckung mit, dieser ließ seine Meerschaumpfeife ebenfalls wachsen und bald schon fiel er auf den Gesellschaften in Budapest und Wien mit seiner wunderschönen Pfeife auf.

Schon kurze Zeit später wurde Karl Kovacs derart mit Schnitzaufträgen für Pfeifen überhäuft, dass er sein Schusterhandwerk an den Nagel hängte und Begründer der Wiener und Budapester Meerschaumkunst wurde, die rasch Verbreitung in vielen Ländern der Welt fand. Die Meerschaumpfeife darf als eines DER Rauchgeräte gelten, die das Pfeife rauchen weltweit populär gemacht haben.
Zur Mitte des 18.Jahrhunderts kam in Deutschland zudem die Pfeifenform auf, die über lange Zeit der absolute Begriff für deutsche Gemütlichkeit werden sollte. An einem großen Porzellan-oder Steinguttopf mit Deckel befand sich ein langer ( z.T. überlanger) Stiel, der oben in einem, biegsamen Mundstück mit zumeist rundem Biss mündete. Sie wurde die Pfeife der vornehmlich sitzenden Lebensführung. Die Altherrenwelt, die einen Großteil des Tages im Lehnstuhl verbrachte, konnte die Pfeife, je nach Länge, bequem auf dem Knie oder gar dem Boden abstellen und über Stunden gemütlich vor sich hin rauchen. Sie wurde zum Begleiter in Amtsstuben, Kanzleien und Studierzimmern und sie wurde, neben Pantoffeln und Schlafrock, das Attribut des Hausherren. Von Schnee durchtoste, lange Winterabende begleitete sie genauso, wie Stunden vor der Laube, in der blühenden Pracht der Sommergärten…und sie wurde zum Beschreibungsobjekt, zum Bestandteil deutsch-romantischer Dichtkunst von Eichendorff und Co.

Selbst, als Napoleon seine Truppen durch Deutschland gen Moskau führte, der Sturm der Befreiungskriege das Land erschütterte…diese Pfeifen blieben und mit ihnen die beschauliche Langsamkeit. Man rauchte seinen St.Vincent, seinen Varinas, Domingo oder Maracaibo nicht nur, man zelebrierte es, allen Widerständen zum Trotz.
Doch, um 1830 setzte eine Art Geschmacksübermüdung ein. Man kannte nun den Tabak zur Genüge und trotz der 200 Jahre, in denen er nun kultiviert wurde, verlangte der Raucher nach neuen, pikanten Geschmackserlebnissen.
Die Cigarre kam auf und konnte, bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts, viele Anhänger der Pfeife auf sich ziehen. Die Cigarre galt außerdem als schneidig, modern, dynamisch…was ihr auch mehr und mehr den Zuspruch des Militärs brachte. Der harte Kern der Pfeifenraucher blieb aber. Forst-und Jagdleute, Landmänner und Seefahrer konnten sich nicht vorstellen, die Pfeife aufzugeben und gründeten hierzulande eine Art konservativen Stamm, mit dessen Hilfe die Pfeife überleben sollte und konnte. Den Handelsleuten in Deutschland fiel sonst nicht viel zur Pfeife ein.
Das sah in England ganz anders aus. Dort war die Entwicklung der Pfeife sehr viel weiter, sie viel mehr ins Leben integriert und auch die Industrie rund um den Pfeifengenuss war beachtlich und nicht ohne Macht.
Dort erkannte man die Müdigkeit für die bisherigen Tabake und schuf auf vielfältige Art und Weise Abhilfe. Man experimentierte mit verschiedenen Virginias, fügte Kentucky hinzu, begann, den syrischen Latakia mehr und mehr zu integrieren, nahm russische und türkische Tabake hinzu und schuf so den Grundstein für eine, lange marktführende Qualität .
Nicht nur das, die Entwicklung neuer Tabakarten nahm auch direkten Einfluss auf die Entwicklung der Pfeife. Goldleaf, Capstan, Craven schufen Tabakarten, die eigener Pfeifenformen bedurfte. So ersann man z.B. die Shag-Pfeife.
Man verstand, dass über die 200 Jahre der Tabakkultivierung hinweg auch der Anspruch einer, immer moderner werdenden, Gesellschaft an das Produkt steigt.
Letztlich hat dieser Aufbruch, die Flucht der englischen Tabakwirtschaft nach vorn dafür gesorgt, dass die Pfeife und ihr Tabak die Zeiten der Stagnation überwunden und bis heute überlebt haben.
Diese führende Funktion hat der britische Markt eigentlich bis zum Ende des zweiten Weltkriegs innegehabt.

Seither hat sich viel am Tabakmarkt getan. Zumindest hierzulande hat sich noch eine breite Angebotspalette erhalten. Nein, von nationalen Märkten kann man schon lange nicht mehr sprechen. Die Welt ist ein Dorf geworden, Individualität im Angebot ist längst der Globalisierung gewichen…und doch hat jeder einzelne Tabak, der sich noch im bunt schillernden Angebot befindet, seine Wurzeln in der hier geschilderten Geschichte.
Ich hoffe, Sie hatten beim Lesen ebenso viel Freude, wie ich bei der Suche nach den Puzzle-Steinen, um das Bild der Tabakeinführung in Europa zusammen zu setzen.
ENDE