Es wird in dieser Geschichte viel um St. Claude gehen. Ohne dieses Örtchen, dass über zwei Jahrhunderte der Schmelzpunkt der Bruyere-Pfeife war und immer noch das Zentrum des französischen Pfeifenbaus ist, wäre auch die Geschichte von Butz-Choquin nicht denkbar.
St.Claude ist alt, sehr alt. Etwa um das Jahr 500 n.Chr. gründeten hier zwei Mönche eine Abtei. 300 Jahre später lebte und starb hier ein Mönch namens Claude…also etwa um das Jahr 800 n.Chr.
Um das Jahr 1200 n.Chr. öffnete man sein Grab und fand den Leichnam mumifiziert und nahezu unverändert vor – 400 Jahre später ! Das sprach sich herum, man mutmaßte ein Wunder, aus Claude wurde der heilige (Saint) Claude und das Dorf wurde zur Wallfahrtsstätte. Das blieb so, bis zum Anfang des 18.Jahrhunderts. Weil Pilger von der heiligen Stätte gern ein Andenken mitnahmen ( wie es auch in heutiger Zeit noch ist) entstanden in St.Claude kleine Schnitzereien, die vor allem Rosenkränze, Kreuze und ähnliche sakrale Gegenstände fertigten und so gut vom Pilgerstrom lebten. Zu Beginn des 18.Jahrhunderts aber ließ das Interesse an St.Claude deutlich nach und die mittlerweile zahlreichen Holzverarbeiter stellten sich auf andere Produkte um. Von nun an fertigte man Schalen, Kästen…und auch Pfeifen.

Machen wir einen Zeitsprung von etwa 150 Jahren und wechseln nach Metz, in die Region Grand Est im äußersten Nordosten Frankreichs. Hier betrieb der Kaufmann Jean-Baptiste Choquin im Jahr 1858 ein gut laufendes Tabakgeschäft. Er hatte eine hübsche Tochter und einen fähigen Verkäufer, namens Gustave Butz. Wie das Leben so spielt, wurde der gute Gustave der Ehemann der Tochter und somit Choquins Schwiegersohn. Die Pfeife hatte es beiden Herren angetan und so entwickelten sie noch im gleichen Jahr eine halblange Pfeife, mit abgeflachtem Boden und einem Stiel aus Albatros-Knochen. Die „Metzer Pfeife“ war geboren, das erste Produkt der neu gegründeten Pfeifenbaufirma „Butz-Choquin“. Diese Pfeife wurde übrigens ein Klassiker im Programm. Unter dem Namen „Origine“ wird sie bis zum heutigen Tage immer wieder aufgelegt. Der Albatros-Knochen wurde allerdings rasch durch einen Kunststoff-Stiel ersetzt.

Lassen wir die Herren hier ihr Werk tun, setzen uns noch einmal in die Zeitmaschine und reisen 18 Jahre nach vorn und wieder zurück nach St. Claude.
Wir schrieben das Jahr 1875, als Lucien Regad beschloss, sich mit seiner Pfeifenproduktion in St.Claude anzusiedeln. Er war rührig, der gute Lucien, besuchte mit seinen Produkten sowohl die Gasthäuser der Umgebung, als auch Kunden in der Schweiz, in Österreich und Deutschland. Man kannte ihn und seine guten Produkte rasch, das Geschäft expandierte.
Schlüsseljahr für die Zukunft war aber das Jahr 1888. Da stellte Lucien Regad einen neuen Laufburschen ein. Arthur Berrod, ein pfiffiger Knabe und erst zwölf Jahre alt. Regad erkannte schnell, welches Talent in dem Jungen schlummerte und machte Arthur vier Jahre später, an Arthurs 16.Geburtstag, zu seinem Werkstattleiter. 1903 heiratete Arthur Berrod die Tochter von Lucien Regad. Nach Ende des ersten Weltkrieges, 1918, übergab ihm sein Schwiegervater die Geschäfte. Dies war die Geburt einer Pfeifen-Dynastie, die Firma „Berrod-Regad“ wurde gegründet. Im Laufe der Jahrzehnte führten Arthur und später sein Sohn und sein Enkel das Unternehmen mit großem Geschick. Nicht nur das man eigene Pfeifenlinien produzierte und andere vertrieb. Man knüpfte auch ein engmaschiges Netz zu Pfeifenmärkten anderer Länder, vornehmlich nach Italien. Doch dazu später mehr.

1950 erfuhr man bei Berrod-Regad, dass die Möglichkeit bestünde, die mittlerweile zu großer Bekanntheit gekommene Firma Butz-Choquin in Metz zu übernehmen. Es kam zu entsprechenden Verhandlungen und 1951 wurde Berrod-Regad zum neuen Besitzer von Butz. Die Fabrikation von Butz-Choquin wurde im selben Jahr nach St.Claude verlegt, womit sich die anfangs verzweigten Wege einten.

Doch nicht nur das wurde von Berrod-Regad in die Wege geleitet. Man strukturierte Butz komplett neu, übernahm für das ganze Unternehmen den Namen Butz-Choquin, da der bereits einen entsprechenden Ruf hatte und begann, neben der Produktion der klassischen Formen auch mit den Entwürfen von Freiformen, für die man so renommierte Künstler wie Joe Colombo gewinnen konnte. 1960 startete dann der Export der Butz-Choquin Serien in viele Länder. Zudem baute man gute Kontakte nach Italien auf, in erster Linie zur „Pfeifenseele“ Italiens, Alberto Paronelli. Paronelli wurde über viele Jahre enger Vertrauter von Berrod-Regad und half dabei, manche Türen zu öffnen.
Butz-Choquin wuchs und gedieh, wurde 1970 vom französischen Staat sogar mit einem Export-Preis ausgezeichnet. Annähernd 60% der Produktion wurden zu diesem Zeitpunkt in beinahe 50 Länder exportiert. Neben dem Ruf, erstklassige Klassik-Shapes zu bauen erwarb sich Butz auch bald einen Namen als DER Hersteller extravaganten Designs, noch vor Mitbewerber Chacom. Klassiker, wie die „Cobra“ oder die „Chatelaine“, eine, einer Teekanne nachempfundenen Pfeife festigten diesen Ruf nachhaltig.

Nach und nach wurden die Märkte aber anspruchsvoller und begannen, sich stark voneinander zu unterscheiden. Liebten die Engländer noch immer ihre kleinen Köpfe, waren in Italien und Skandinavien eher größere Shapes gefragt. Während deutsche Pfeifenraucher mehr und mehr den Filter präferierten und glatte, dunkle Pfeifen liebten, sollte es für Japan eher gestrahlt, hell und filterlos sein.
Das führte über die Jahre zu einer schier unüberschaubaren Anzahl an Modellen. Dutzende Design-Serien in mehr als 50 Grund-Shapes wurden hergestellt und da noch die Zweitmarken dazu kamen, wie Dr.Boston, Chap, Claude Romain und Jima, verloren selbst die leitenden Köpfe des Unternehmens bisweilen den Überblick. Zumal Freiformen, Sondermodelle und Jahrespfeifen noch nicht eingerechnet waren. Vielleicht war und ist das eines der Probleme, mit denen sich Berrod-Regad bis heute herum schlägt. So war und ist es Händlern kaum möglich, die Flut an Butz-Choquins auch nur in Teilen in ihren Läden zu präsentieren und mancher Fachhändler ließ, ob der Unübersichtlichkeit, die Finger ganz davon.

Noch in den 90er Jahren aber brummte das Geschäft. 1995 z.B. produzierte das Unternehmen mit 75 überwiegend weiblichen Mitarbeitern 320 000 Pfeifen. Das war über die Hälfte der Pfeifenproduktion von ganz St.Claude, obwohl dort zu diesem Zeitpunkt noch sieben Mitbewerber tätig waren.
Zu Beginn des Jahres 2001 zeichnete sich aber eine Veränderung ab. Allgemein ließ der Pfeifenmarkt und damit die Nachfrage in nahezu allen Ländern massiv nach. Die Pfeifenindustrie von St.Claude und allen voran Butz-Choquin musste sich die Frage stellen, wie es möglich war, St.Claude als Produktionsstandort beizubehalten. Nicht so sehr aus dem Traditionsbewusstsein für diesen Ort heraus, obwohl das sicher auch eine Rolle spielte. Man konnte aber auch nicht einfach nach anderen, günstigeren Produktionsstandorten suchen, weil sich die Fachkräfte letztlich nur hier, in St.Claude, finden ließen. Andernorts hätte man erst wieder das benötigte Personal ausbilden müssen. So kam es 2002, nach zwei vorhergehenden, erfolglosen Versuchen mit Interessenten zur Übergabe der Berrod-Regad an Fabien Guichon, einem Mann, der ebenfalls aus der Region des französischen Jura stammt.

Gemeinsam mit amerikanischen Investoren leitet er seitdem die Geschicke des Konzerns. Darüber hinaus kam es zu Verhandlungen mit den anderen vier, noch am Ort befindlichen Pfeifenproduzenten. Gemeinsame Ideen und Projekte sollten und sollen den Pfeifenstandort St.Claude rentabel erhalten. Das ausgerechnet amerikanische Investoren beteiligt sind, erscheint auf den ersten Blick vielleicht ein wenig verwunderlich. Zumindest haben die Amerikaner keinen langjährig gewachsenen Bezug zu Butz-Choquin, da der offizielle Export in die USA erst 1999 startete.
Den Status der Vorzeigeindustrie hat der Pfeifenbau in St.Claude längst verloren. Die Kunststoff-Produktion ist zum größten Arbeitgeber des nur noch etwa 13000 Einwohner zählenden Städtchens geworden. Von den einstmals 7000 ansässigen Pfeifenmachern sind ganze vier Produzenten übrig geblieben, die Beschäftigtenzahl bei Butz sank vom Rekordwert 180, im Jahr 1975, auf zuletzt 45 Angestellte. Ja, der Markt hat sich geändert. „Früher“, so erzählt Jean Paul Berrod, Urenkel des Firmengründers,“ wurden oft 3000-4000 Stück von einem Muster gedreht. Die Zeiten sind lange vorbei. Die Serien sind kleiner, individueller geworden. Man muss schnell reagieren, innovativ sein, im modernen Pfeifenmarkt!“ Will man nach Schuldigen suchen, außerhalb der Marktveränderung, muss auch der „Geist von St.Claude“ genannt werden. Zu lange glaubte man, den Status der „Pfeifenschmiede der Welt“ für immer gepachtet zu haben. Zu lange arbeiteten die verschiedenen Hersteller als direkte Konkurrenten, statt frühzeitig zur „St.Claude Pfeife“ zu wechseln und an einem Strang zu ziehen. Hätte, wenn, wäre…wer aus dem Rathaus kommt, ist immer schlauer.

Betrachtet man die aktuelle Situation um Butz-Choquin in St.Claude, bleibt zu hoffen, dass die Veränderungen auch in der Zukunft noch greifen. Nicht nur, damit der Pfeifenraucher auch zukünftig auf die gelungenen und gut gefertigten Produkte der Franzosen Zugriff hat…auch St.Claude lebt, zumindest in der nicht unwichtigen Tourismus-Branche, immer noch vom Mythos der Pfeifenwiege. Es tut einem weh, sich vorzustellen, dass dieses Herz der Pfeife einmal sterben könnte. Wir haben in den letzten Jahren schon so viele Pfeiler der Pfeifengeschichte verloren. Einmal durch die immer rigider werdenden, frömmelnden Feldzüge gegen das Rauchen und zum Zweiten durch skrupel-und herzlose Manager, denen die Pfeife im Grunde völlig egal ist und die sich nur dafür interessieren, möglichst schnelles Geld damit zu machen. Drücken wir also den Franzosen alle Daumen, dass sie die Keimzelle der Pfeife, den Ort, wo alles begann, am Leben erhalten können. Vielleicht, dieser kleine, augenzwinkernde Hinweis sei mir gestattet, können wir Pfeifenfreunde dazu beitragen, in dem wir beim nächsten Pfeifenkauf mal wieder verstärkt auf den kleinen Stern und die Buchstaben BC auf dem Mundstück achten.
