STEFANO SANTAMBROGIO-“ Altmodisch“ aus Überzeugung

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Der Meister mit einigen, sehr besonderen Werken.

Im Jahr 1865 endete der amerikanische Sezessionskrieg, Abraham Lincoln fiel einem Mordanschlag zum Opfer, die Heilsarmee wurde gegründet, Schuberts „Unvollendete“ kam zur Uraufführung, „Max und Moritz“ und „Alice im Wunderland“ erschienen in Erstausgabe und in Berlin startete die erste Pferde-Straßenbahn. Ein bewegtes Jahr, in dem auch Stefano Santambrogio in Meda/Brianza das Licht der Welt erblickte.

Stefano war noch sehr jung, als seine Familie nach Gallarate umsiedelte. Dort bekam er, als junger Mann, eine Anstellung bei „Pipe Fratelli Lana“, der ersten Pfeifenfabrik im Kreis Varese. Er lernte rasch und viel über den Pfeifenbau, aber auch über Lagerung, Einkauf und Vermarktung. 1899 jedoch stellte Lana die Pfeifenproduktion ein und Stefano siedelte mit seiner Frau nach Gavirate um, wo ihm in der Pfeifenfabrik „Rossi“ schon in seinen jungen Jahren der Posten des Direktors angeboten wurde. Damit wären viele Leute sicher zufrieden gewesen, doch Santambrogio war hungrig, umtriebig, voller Ideen. Mit dem Wunsch, eine eigene Pfeifenfabrik zu gründen, erwarb er 1910 eine alte Getreidemühle in Gropello di Gavirate, mit angrenzendem Bauernhof.

Ein sehr mutiges Unterfangen, stand doch als einzige Energiequelle zum Antrieb von Maschinen das Wasserrad zu Verfügung, das vom Fluss „Roggia Molinara“ gespeist wurde. 1912 kam es dann hier zur Gründung der „Pfeifenfabrikation Santambrogio“. Mit den, über Transmissionen angetriebenen, Maschinen war die Produktion zwar stetig und auch recht erfolgreich, in der Menge aber sehr begrenzt. Das änderte sich, als 1926 die Fabrik elektrifiziert wurde und man sich einen der ersten 5 PS starken Elektromotoren zur Unterstützung der Wasserkraft zulegen konnte.

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Eines, der seltenen Fotos, auf denen man Stefano Santambrogio senior (Mitte) an einer, seiner Maschinen sehen kann.Oben im Bild sieht man noch die Räder und die abgehängten Treibriemen der, ehemals wassergetriebenen Transmission.

Die Produktion konnte erheblich gesteigert werden und die Fabrik steuerte auf ihre Blütezeit zu. Zwischen 1930 und 1940 stieg die Mitarbeiterzahl auf 130 Angestellte und man produzierte bis zu 100.000 Pfeifen im Monat , die in alle Welt exportiert wurden !

Nach dem Krieg nahm die Produktion langsam, aber beständig wieder Fahrt auf. Die Vorkriegszahlen waren aber, auch aufgrund einer geänderten Wirtschaftslage und viel mehr Mitbewerbern, nicht mehr zu erreichen. 1951 starb Stefano Santambrogio sen. und seine Söhne Armando und Renzo übernahmen die Geschäfte. Renzo wurde ein Jahr später Vater und benannte seinen Sohn nach seinem Vater. Stefano jun. wuchs vom Säuglingsalter an zwischen Holzstaub und Maschinen auf. Heute erzählt er scherzhaft, dass sein erstes Wort wohl „Pipe“ war, bevor er „Papa“ sagen konnte.

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Wir besuchten das Paar 2018 in ihrer Manufaktur. Ein tolles Erlebnis. (v.l.n.r.) Sara Cella, Roman Peter, ich, Stefano Santambrogio und Alberto Paronelli

Er lernte den Pfeifenbau von der Pike auf und als 1981 sein Vater Renzo starb, übernahm er mit 29 Jahren  die Aufgabe, „Pipe Santambrogio“ in die Zukunft zu führen. Das allerdings sollte sich anders gestalten, als bisher. Nicht mehr die hohen Stückzahlen galten als erstrebenswertes Ziel, sondern Qualität und Ausgereiftheit. So wurde aus der Pfeifenfabrik eine Pfeifenmanufaktur, weil Stefano seine ganz eigenen Vorstellungen umsetzen wollte.

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Zwei absolute Meisterwerke

Wer Stefano Santambrogio heute in der alten Fabrik besucht, trifft auf einen Mann, dem die Tradition der Marke sehr wichtig ist. Stolz verweist er auf die Transmissionsräder, die aus alten Zeiten immer noch an Wänden und Decken montiert sind. Viel Platz ist inzwischen im Gebäude, in dem es einst vor Arbeitern wimmelte. Heute sind es gerade noch zwei Menschen. Sara, Stefanos Frau, die sich um Organisation und Verwaltung kümmert und Stefano, der seine ganz eigene Auffassung vom Pfeifenbau vertritt und die Ruhe genießt, die ihm dafür bleibt. Er pflegt und lagert sein Holz, entwirft seine, zumeist harmonischen und fließenden Formen und macht alle Arbeitsgänge ohne Druck und in entspannter Gelassenheit selbst. Nein, große Stückzahlen sind so nicht möglich. Sie sind ihm aber auch nicht mehr wichtig. Deshalb legt er auch keinen großen Wert auf Marketing und gesteigerten Bekanntheitsgrad.

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Der Arbeitsplatz von Stefano…
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…und die Früchte seiner Arbeit !

„Eine gute Pfeife entsteht nie zufällig“, sagt Stefano, „sie ist Produkt guter Ausgewogenheit, einer Begabung für Ästhetik und der genauen Betrachtung ihrer Funktionalität!“

Es gibt nicht mehr viele Pfeifenbau-Manufakturen mit über 100-jähriger Tradition. Darauf ist Stefano stolz und das mit Recht. Wie lange der heute 66-jährige seinem Handwerk noch nachgehen will, ist nicht wirklich klar zu erfahren.

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Sara, die ursprünglich aus Buenos Aires stammt, am Santambrogio-Stand auf der Pfeifenmesse von Paronelli/ Gavirate 2018
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Opulente Formensprache und prachtvolle Verzierung. Italienisches Pfeifen-Desigb vom Feinsten.

Es ist gar nicht so sehr nur das Alter, dass Stefano an die Beendigung seiner Arbeit denken lässt. Man merkt ihm im Gespräch an, wie sehr ihm im heutigen „Pipe-Business“ die Tugenden, die Einstellungen fehlen, mit denen Stefano aufgewachsen ist, die für ihn die Qualitäten eines guten Pfeifenmachers ausmachen und nach denen er stets gehandelt und gearbeitet hat. Bisweilen fühlt er sich wie ein Fremdkörper, in der modernen Pfeifenwelt.

 

Der Gedanke an den Ruhestand wird zwar häufiger, doch, so wirklich kann man sich diesen Stefano Santambrogio ohne seine Arbeit nicht vorstellen. Mit ihm wird die Tradition des Pfeifenbaus unter diesem Namen und an diesem Ort enden. Bleibt zu hoffen, dass ihm die Gesundheit und die Freude an seiner Arbeit noch lange erhalten bleibt.

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Das Geheimnis guter Pfeifen ist das beste Holz. Stefano hütet seine Reserven italienischer Kanteln sehr sorgsam.

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