MEERSCHAUM- Legenden und Realitäten Teil 1

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Das Meerschaum-Museum in Eskisehir (TR)

Ja, es ist eine schöne Geschichte. Die, des Grafen Guyla Andrássy, der 1723 einen Meerschaumklumpen von einer Reise nach Anatolien mitbrachte. Er übergab diesen Block dem Schuster Karoly Kovacs. Karoly hatte für den Grafen schon Pfeifen aus Holz geschnitzt und so fertigte er aus dem Stück Meerschaum listig zwei Pfeifen. Eine übergab er dem Grafen, der damit bei offiziellen Anlässen glänzte und eine rauchte der clevere Schuster selbst. So soll der Siegeszug der Meerschaumpfeife seinen Anfang genommen haben.

Es bleibt aber auch nur eine schöne Geschichte. Die Orte des Geschehens variieren. Mal ist es Debrecen, mal Budapest. Fest steht, dass der Graf Andrassy eine Pfeife dem Museum von Pest schenkte…aber erst 1876, also 153 Jahre später. Demnach hätte der Graf ein gesegnetes Alter erreicht.

Warscheinlicher ist, dass es nicht der Graf war, sondern möglicherweise einer, seiner adeligen Vorfahren. Die Historie hält fest, dass im Jahr 1760 Fürst Esterházy ,der österreichische Gesandte, aus Konstantinopel eine „Türkenknolle“ mitbrachte und sie von einem Bildhauer zu einer kunstvollen Pfeife arbeiten ließ. Diese Pfeife erweckte viel Bewunderung am Hofe und dürfte mittelfristig zur Blütezeit der Meerschaumpfeife in der besseren Gesellschaft geführt haben.

Ob die ersten Meerschaumpfeifen nun in der k.und k.-Monarchie gefertigt wurden oder es bereits vorher in Anatolien Pfeifen aus dem Material gab, lässt sich nicht klären. Als sicher gilt aber die These von Otto Pollner, nach der die ersten europäischen Meerschaumpfeifen in Ungarn, genauer in Debrecen gefertigt wurden. Die ersten Modelle waren nämlich Formkopien von Holzpfeifen, die in Debrecen schon vorher gefertigt wurden und ganz typisch für die Gegend gewesen sind.

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Große Kunst: Meerschaumpfeifenkopf aus Wien (ca.1880)
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Ein Kopf aus Debrecen (Ungarn) von 1870

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dann Wien das beherrschende Zentrum für künstlerisch gefertigte Meerschaumpfeifen. Dafür gab es einen ganz bestimmten Grund. In der Bildhauerszene Österreichs herrschte zu dieser Zeit eine heftige Krise. Für viele Künstler bestand plötzlich in der Schaffung ausgefallener Meerschaumpfeifen die Chance auf einen neuen Broterwerb. Die Branche boomte. So verzeichnete man für die Meerschaumpfeifenfertigung in Wien im Jahre 1872 die Zahl von 200 Meistern, die mit 1000 Arbeitern 360 Tonnen (!) Meerschaum und 3o Tonnen (!) Bernstein verarbeiteten. Der Meerschaumpfeife an sich schadete diese Entwicklung eher. Mehr und mehr entstanden bombastische Kunstwerke mit Tabakraum. Der wurde aber nicht mehr genutzt, da diese Werke ob ihrer Größe und Form zwar für die Vitrine taugten, nicht aber zum genüsslichen Schmauchen. Erst Firmen wie Strambach und Bauer führten die Pfeifen aus dem verehrten Material zur Schlichtheit und zum praktischen Nutzen zurück.

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„Gebrauchspfeife“ aus Wiener Meerschaum von Strambach. Um 1900.

Zudem ersann Strambach angeblich ein neues Verfahren, bei dem Meerschaumreste gepresst und dann als Block zu Pfeifen geschnitzt werden konnten. (Siehe Artikel „Wiener Meerschaum“ in diesem Blog.) Das nannte man dann „Wiener Meerschaum“ und diese Bezeichnung wurde auch weltweit bekannt. Die Wahrheit sieht aber auch in diesem Fall anders aus. Das eigentliche Verfahren stammt schon aus dem Jahre 1750 und ist eine Erfindung der Meerschaumpfeifenmacher aus Ruhla in Thüringen. Dort und im westfälischen Lemgo gab es seinerzeit nämlich auch eine erfolgreiche Meerschaumpfeifenfertigung.

 

Der Nachschub an Meerschaumknollen nahm nach Ende des ersten Weltkrieges ein ziemlich jähes Ende. Mit Gründung der Türkei übernahm Mustafa Kemal Pascha ( Kamal Atatürk) die erste Präsidentschaft. Ihm war die Notwendigkeit schnell klar, wertvolle Rohstoffe vor dem Export zu schützen und damit eher die Wirtschaft im eigenen Land zu versorgen. Das war im Falle der Meerschaumpfeife aber nicht ganz unproblematisch. Zwar wurden staatliche Schulen gegründet, die das Schnitzhandwerk lehrten, es fehlte aber am Fachwissen, das in Ruhla, Lemgo, Debrecen, Pest und später in Wien zu den erstklassigen Ergebnissen führte.

So kam es, dass die Meerschaumpfeifen, die seither aus der Türkei geliefert wurden, den verwöhnten Pfeifenfreund in Europa nachhaltig enttäuschen. Viele wanderten zur Bruyerepfeife ab oder gingen an die Zigarette verloren, die gerade in Mode kam. Über einige Jahrzehnte hinweg fristete die türkische Meerschaumpfeife ein Außenseiterdasein. Allenfalls mit den einsetzenden Touristenströmen ließen sich noch nennenswerte Einnahmen erzielen. Doch, die Pfeifen, die in den Souvenirshops von Ankara, Istanbul oder Izmir feilgeboten wurden, eigneten sich eher als Zierde für den Kaminsims, denn zum genussvollen Rauchen.

Obwohl das zunächst in unseren Breiten nicht recht wahrgenommen wurde, galt die Mittelmäßigkeit der türkischen Fertigung aber nicht für den ganzen Markt. Schon früh fanden sich Künstler, denen der Durchschnitt nicht genügte, die eigene Vorstellungen von der Pfeifenfertigung aus Meerschaum hatten und selbst Schnitzer ausbildeten. Einer der bekanntesten Pioniere auf diesem Gebiet dürfte wohl Ekrem Koncak sein, der bereits 1934 seine eigene Schnitzerei in Eskisehir gründete. Aus seiner und der Schule anderer Top-Carver kamen immer wieder große Namen, die den heutigen Ruf der türkischen Spitzenprodukte begründeten. Doch erst die Möglichkeiten des Internets machten Könner, wie Sümerler, Aktas, Gövem und Co. in der Welt wirklich bekannt. Gleiches gilt auch für die wohl bekannteste Herstellerfirma für Meerschaumpfeifen weltweit, die ALTINAY-Manufaktur, ebenfalls in Eskisehir ansässig.

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Aktuelles Modell von Tekin…

 

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Modell „Uncle Will“ von Altinok

Durch die sozialen Netzwerke ist es heute kein Problem mehr, sich und seine Pfeifen der Welt zu präsentieren. Erstaunt stellt man fest, welche Vielzahl an Talenten sich in der Türkei der Fertigung von Meerschaumpfeifen verschrieben hat. So sind heute Namen, wie Tekin, Yunar, Yanik, Yavuz, Gezer, Kara, Cor und Sener einer großen Zahl von Pfeifenfreunden weltweit bekannt. Leider ermöglicht die politische und bürokratische Situation einen freien Handel nicht so einfach, wie es wünschenswert wäre. Trotzdem scheint der Fortbestand der Meerschaumpfeifen-Kunst zunächst einmal gesichert. Allerdings wird die Gewinnung des Rohstoffs und seine Verfügbarkeit immer schwieriger und knapper.

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Die berühmte „Adlerklaue“ von Altinay

Ja, es ist eine schöne Geschichte. Die, von dem Bauern, der vor langer Zeit am Strand des Marmara-Meeres einen weißen Klumpen fand. Er hielt ihn für einen Stein, bemerkte aber beim Aufheben, wie leicht er doch war. Bei genauer Betrachtung sah er, wie hinter einem Schleier, ein Gesicht. Er trocknete den Stein etwas, griff zum Messer und legte das Antlitz eines bärtigen Gottes frei. So entdeckte man den Meerschaum und so kam er auch zu seinem Namen.

Wenn Ihnen diese Fassung gefällt, sollten sie die jetzt folgenden Absätze überlesen. Am Meerschaum selbst ist nämlich nichts märchenhaft oder bezaubernd. Was man anfänglich tatsächlich als Meeresablagerung aus Knochen, Muscheln und Co. ansah, wurde 1781 von Johann Wiegelb erstmalig einer genauen, chemischen Analyse unterzogen. Ergebnis: Es ist ein Magnesiumsilikat, auch Sepiolith genannt. Die früheren Namen waren auch Keffekil oder Myrsen. Es wäre möglich, dass aus dem Begriff Myrsen später, in deutscher Sprache, Meerschaum wurde. Ebenso sprachlich verwandt ist der Begriff des früheren, levantinischen Handelsnamens für Meerschaum: Mertschcavon. Ganz genau weiß man bis heute nicht, wie der Name entstanden ist. WAS man genau weiß, ist, dass dieses Sepiolith nur in zwei sehr begrenzten Bereichen der Erde zu finden ist. Der weiße Meerschaum sogar nur in einem Radius von etwa 20 Kilometern rund um Eskisehir, in den Dörfern, die auf etwa 700 Metern Höhe in den Bergen über dem Marmarameer liegen. Hier in Cifteler, Afyons, Imisehir und Turkmen Torkat  gehört der Meerschaumabbau immer noch zum mühsamen, täglichen Broterwerb.

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Einstiegsschacht in den Stollen

Doch, es werden immer weniger Gruben, in denen noch abgebaut werden darf. Die türkischen Behörden haben den Anspruch an die Sicherheit massiv angehoben und die Vorgaben kann kaum noch ein Schürfer erfüllen. Der Abbau von Meerschaum ist nichts für zarte Gemüter. Senkrechte Schächte, durch die ein erwachsener Mann so gerade hindurch passt, führen in 20 bis 40 Meter Tiefe. Von hier werden kurze Stollen horizontal in die Erde getrieben. Die meisten Gänge sind so schmal und flach, dass man sie allenfalls in der Hocke, meist aber auf allen Vieren krabbelnd durchmessen muss.

Es ist feucht dort unten, sehr feucht und häufig müssen die Männer im Liegen den Meerschaum aus den Wänden graben. Länger, als drei bis vier Stunden hält das niemand am Stück aus und dann heißt es, an den Wänden des Schachtes wieder hinauf zu klettern, da für eine Leiter in der Enge kein Platz ist. Oben erwartet einen dann Wind und schneidende Kälte im Winter und sengende Hitze im langen Sommer. Ja, es gibt auch mechanischen Abbau, bei dem sich kleine Bulldozer in die Erde graben, um an das gefragte Gut zu gelangen. Doch, dieser Abbau ist nicht selektiert, es wird alles verwendet, was geborgen wird- das geht zu Lasten der Qualität.

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Das mühsame Ausschlagen der Sepiolithstücke aus dem umgebenden Gestein und Entfernung der Gesteinsreste

Warum tun sich die Männer diese schwere Arbeit überhaupt an, die ihnen im Alter häufig Rheuma und Sehschwächen einbringt ? Nun, weil die Menschen in dieser Gegend kaum andere Einnahmequellen haben, von etwas Landwirtschaft abgesehen…aber auch, weil es Tradition ist. Von einer Generation zur anderen werden die Stollen vererbt, wobei die Schürfrechte jedes Jahr neu bei der Regierung erworben werden müssen. Manche Schürfer warten mit ihrer Ausbeute dann auf die Aufkäufer, die für die fertigenden Betriebe in Eskisehir einkaufen und auch noch um jede Lira feilschen. Andere Schürfer verbringen den halben Tag im Stollen und die zweite Hälfte in der Werkstatt, wo sie Auftragsarbeiten schnitzen. Allerdings sind immer weniger Pfeifen darunter.

In der Türkei ist das Pfeife rauchen, wie wir es kennen, weitgehend unbekannt. Die meisten Raucher greifen dort zur schnellen Zigarette. Zudem sind die Rauchverbote genauso strikt, wie im Rest der Welt…und die Pfeife an sich ist immer weniger gefragt. Das macht sich natürlich auch bei den Schnitzern bemerkbar. Die Hände, die auch in den Stollen nach den Meerschaumbrocken graben, erweisen sich oft als sehr geschickt, wenn es darum geht, geschnitzte Kunstwerke zu erschaffen. Wer von Kindesbeinen an mit der Materie zu tun hat, kennt sich aus.

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Im harten Winter versucht man, die Zugänge vor Schneefall und eisigem Wind zu schützen.

Der beste Blockmeerschaum, so erfährt man, kommt aus etwa 20 Metern Tiefe. Er ist zwar weicher und schwerer zu bearbeiten, als Knollen aus der doppelten Tiefe, für Pfeifen aber viel besser. Je größer die Tiefe, aus der der Meerschaum kommt, desto höher ist, durch den Druck, seine Dichte und sein Gewicht. Gut für Skulpturen, aber schlecht für Pfeifen, da ja gerade die luftige Porosität des Meerschaums für die erstklassigen Raucheigenschaften steht. Zudem sollen die Wände der Pfeifen nicht zu dünn sein, wird erklärt, da sonst die Materialstärke zur Aufnahme der Feuchtigkeit zu gering ist.

Geraucht werden hier Meerschaumpfeifen eher selten, man kennt sich mit Material und Fertigung aber bestens aus. Hier und in Eskisehir sitzen sie in ihren kleinen Werkstätten, um die Welt mit Meerschaumpfeifen zu versorgen. Deren Export ist ja erlaubt, die Ausfuhr von unbearbeitetem Meerschaum aber nach wie vor verboten. Das sichert der türkischen Meerschaumpfeife wenigstens ein Stück weit den Anteil am, immer kleiner werdenden Markt…auf lange Sicht steht hier aber eine große Tradition vor dem Aussterben.

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Dieses Prachtstück ist ein echter Glücksfund und eine große Seltenheit.

Fahren wir mit dem Finger auf der Weltkarte mal ein gutes Stück nach unten und dann nach links. Unser Ziel ist das Grenzgebiet zwischen Tansania und Kenia. In der Nähe des Amboseli-Salzsees fand sich 1953 ein großes Meerschaumvorkommen. Man organisierte den Abbau und in der Stadt Arusha wurde die „TANGANYKA MEERSCHAUM CORPORATION“ gegründet, deren Markenzeichen ein kleiner, weißer Elefant ist. Die Geschäfte liefen gut an, schon 1967 exportierte man 200.000 Pfeifen in über 60 Länder der Erde.

Mit dem türkischen Meeschaum ist der Amboseli aber nur bedingt vergleichbar. Er ist eher grau, deutlich unreiner und erheblich dichter in der Struktur, was ihn zeitgleich aber noch robuster macht. Anfänglich wurden alle Amboseli-Pfeifen schwarz eingefärbt, später kamen auch Grüntöne und eine bewusst rustikale Rustizierung dazu. Es war zwar von „Sandstrahlung“ die Rede, das kann aber nicht der Realität entsprechen, weil sich Meerschaum nicht zur Strahlung eignet. Irgendwann hatte man die Idee, auch die grau-weißen Naturtöne anzubieten, die Pfeifenköpfe aber mit einem künstlichen Schmauchrand zu versehen, was ihnen die Optik verlieh, schon lange in Benutzung zu sein. Dieses Design wurde nicht nur sehr beliebt, es war schon bald eine Art Markenzeichen.

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Das typische Design der Meerschaumpfeifen aus Ostafrika.

Um 1980 herum boten auch Peterson, Barling und Nörding Pfeifen aus Amboseli-Meerschaum auf dem deutschen Markt an. Im Gegensatz zur Türkei wurde nämlich kein Ausfuhrverbot erlassen, so dass das Rohmaterial auch anderenorts verarbeitet werden konnte. Die Tanganyika Meerschaum Corporation wurde nach einer mißglückten Übernahme durch eine belgische Firma schon vor etlichen Jahren geschlossen. Die Kilimanjaro Meerschaum Corporation lieferte Rohware bis nachweislich 2005. Über diese Zeit hinaus ist kein Abbau mehr bekannt. Pfeifen der vielen Marken der Firma, wie Cavemen Kiko oder merlin finden sich aber immer noch im Handel.

Im zweiten Teil möchte ich erläutern, warum der Ruf der Meerschaumpfeife ihr bis heute im Wege steht und klären, was daran wahr und was völlig überbewertet ist. Außerdem soll es darum gehen, was bei der Anschaffung einer Meerschaumpfeife beachtet werden sollte.

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Ein Prunkstück des Museums in Eskisehir

 

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