Als er 1965 als das „Nesthäkchen“ zur Welt kommt, ist sein Weg eigentlich vorbestimmt. Jan Harry ist der jüngste Sohn von Detlev Seiffert, einem schon seinerzeit sehr erfolgreichen Importeur und Kaufmann in Sachen Tabak und Co.und zudem verdankt er seinen zweiten Vornamen einem berühmten Patenonkel. Der ist kein Geringerer als Harry Kapp, der Kompagnon von Charles Peterson.
Im Hause Seiffert dreht sich vieles um die Pfeife. Detlev Seiffert ist z.B. massiver Förderer und Importeur der damals jungen und aufstrebenden Marke „Svendborg“. So kommt es, dass der kleine Jan Harry schon im Alter von sechs Jahren ganz allein in Dänemark Urlaub machen darf. Poul Ilsted ist zu diesem Zeitpunkt schon bei Svendborg ausgeschieden, aber Henrik Joergensen und Tao Nielsen kümmern sich rührend und intensiv um den kleinen Jan. Um ihn zu beschäftigen, drückt Tao ihm seinen ersten vorgebohrten Kantel in die Hand. Jan Harry baut seine erste Pfeife. Er darf sie sogar rauchen…bis ihm davon schlecht wird.

In den Jahren danach geriet die Pfeife aber erst einmal ins Hintertreffen. Jan entdeckte seine zweite große Liebe, die Musik. Bald schon spielte er Bass, Keybord und Schlagzeug, zunächst bei der Band „Shift“, später bei „Traffic Jam“ und stand mit sechzehn Jahren bereits auf der Bühne. Selbst, als die Bundeswehr rief und Jan Harry als LKW-Fahrer bei der Luftabwehr Dienst tat, gelang es ihm, einen Übungsraum für seine Musik zu bekommen. Er bestach den Spieß mit selbstgemachten Pfeifen.
Nach der Bundeswehrzeit begann der eigentliche Ernst des Lebens. Seinem Vater war es wichtig, alle drei Söhne für das Unternehmen zu gewinnen. Was vorher schon mit Oliver und Torsten gelang, sollte auch mit Jan Harry klappen.
Jan übernahm zunächst die Pfeifenreparatur und das gelang ihm derart perfekt, dass Vater Detlev eine großartige Idee hatte. Er fragte seinen Jüngsten, ob er nicht mal wissen wolle, wie man eine Pfeife professionell fertigt. Jan war Feuer und Flamme und es begann für ihn eine regelrechte Ausbildungs-Tournee.

Zunächst kehrte er für zwei Monate nach Dänemark, auf die Insel Fünen und zu Svendborg und Tao zurück. Nachdem ihn Tao in die Geheimnisse seiner Pfeifenfertigung eingeweiht hatte, ging Jan Harry für einen Monat heim, nach Kassel. Anschließend begann er eine zweimonatige Ausbildung bei Savinelli in Varese und nach einem weiteren Monat Heimaturlaub ging es für knapp zwei Monate zu Peterson nach Dublin, wo Jan vor allem die Silberschmiederei erlernte. So umfassend mit Wissen ausgestattet erwarb er nach der Heimkehr die Reparaturwerkstatt, kaufte Maschinen aus Dänemark und England zu und versuchte sich an seinen ersten, eigenen Pfeifen.
Auf der Intertabac 1993 gelang ihm der endgültige Durchbruch, dass Interesse an seinen Pfeifen wuchs beachtlich.
Im gleichen Jahr starb aber auch sein Vater und die Söhne wurden zu gleichen Teilen in die Pflicht genommen, um das Seiffert`sche Familienunternehmen weiter zu führen.
So konnte Jan Harry in den Folgejahren Musik und Pfeifenbau nur in der knappen Freizeit betreiben, allerdings sorgte das Geschäft auch für ein gutes und geregeltes Einkommen der Geschwister.


Ende des Jahres 2011 wurde das gemeinsame Familienunternehmen aufgelöst. Während Oliver Seiffert ein erfolgreiches Tabakwaren-Einzelhandelsgeschäft in Kassel eröffnete, übernahm sein Bruder Torsten die Geschicke der Silbermarke Sillems. Jan Harry aber zog es fort aus Kassel. Er fand sein persönliches „Kreativ-Paradies“ in einem Gewerbegebiet in Hirschhagen, unweit der Stadt. Ganz bewusst wählte er diesen, etwas abgeschiedenen Ort. Ein geregelter Arbeitstag mit festen Zeiten war nicht sein Ding. Oft schuf er seine Pfeifen bis spät in die Nacht oder machte Musik- da kam ihm die Tatsache, wenige Nachbarn zu haben, sehr entgegen.
In Jan Harrys erster Pfeifenkollektion waren die Einflüsse von Svendborg und Savinelli unverkennbar. Nach und nach erarbeitete er sich aber seinen eigenen Stil, der trotzdem deutlich an das dänische Formempfinden angelehnt war. Festgelegt hat Jan Harry sich nie. Das Holz „lesen“ zu können, war eine, seiner großen Stärken. So finden sich unter seinen Arbeiten immer wieder Stücke, die wunderschön der Maserung nach gearbeitet sind, gerne auch mal asymetrisch oder schwungvoll mit markigem Plateaurand. Ebenso verstand er sich aber auf klassische Formen. Er entwarf für Peterson z.B. die „Mycroft“ und die „Hudson“, sowie vier Modelle der G-Serie und auch unter seinen eigenen Modellen finden sich häufig Pfeifen mit klaren, klassischen Zitaten.

Applikationen spielen häufig eine schmuckvolle Rolle. Messing, Silber oder Edelhölzer finden sich an vielen Pfeifen von ihm. Zudem war Jan immer auf der Suche nach neuen Materialien und Verarbeitungsformen. Sein Anspruch war stets, so vielfältig, wie möglich zu sein. Bei seinen Mundstücken ist überwiegend Acryl anzutreffen. So recht glücklich war er, nach eigener Aussage, damit nicht, richtete sich aber nach dem Wunsch der Mehrheit seiner Interessenten. Das ist auch der Grund, warum etwa Dreiviertel seiner Pfeifen einen 9mm-Filterzapfen haben. Jan Harry bevorzugte Pfeifen ohne Filter, war aber pragmatisch genug, auf die deutliche Mehrheit der mit Filter rauchenden Pfeifenfreunde einzugehen. Seine Formensprache hat darunter nicht gelitten.
Man kann ein wenig spekulieren. Zu dem Zeitpunkt, als er gezwungen war, gemeinsam mit seinen Brüdern die Geschicke der Firma Seiffert weiter zu lenken, war er wohl der „kompletteste“ Newcomer der deutschen Pfeifenszene. Wer Pfeifen von ihm aus der damaligen Zeit sieht, ahnt, wohin ihn der Weg des Pfeifenbaus gebracht hätte, wenn er seine ganze Kreativität, seine Ausbildung, sein ganzes Talent ausschließlich darauf hätte verwenden können. Ich glaube, auch Jan Harry ist diesen Gedanken zeitlebens nie ganz los geworden.

Für einen internationalen Ruf und für hohes Ansehen unter den Pfeifenrauchern und –machern hat es trotzdem gereicht…und für Freundschaften rund um die Welt. Für den, der Jan Harry ein wenig kannte, ist das aber auch kein Wunder. Obwohl er seit der Jugend auch Bühnenerfahrung hatte, war der laute Auftritt, waren Starallüren nie sein Ding. Immer traf man auf einen leisen, freundlichen, offenen Menschen. Wo Jan war, war oft auch Musik, wurde man auf ihn aufmerksam. Doch, raumfüllend und nach Aufmerksamkeit heischend habe ich ihn nie erlebt. Es waren immer angenehme, wertvolle Momente, die man mit ihm erleben konnte.
Am 02.August 2019 musste sich Jan Harry Seiffert einer heimtückischen Krankheit geschlagen geben. Ja, die Pfeifenwelt verlor einen hochbegabten Künstler. Die Welt verlor aber vor allem einen liebenswürdigen, offenen, stets interessierten und zugewandten Menschen. Einen, der unvergessen bleiben wird.
