
Ja, es gibt sie, diese Geschichten. Die, über die angebliche Bruchempfindlichkeit von Meerschaum, die über die Einrauchrituale mit weißen Handschuhen, die, über die tief empfundene Ehrfurcht des Rauchers vor dem hochedlen Material.
Das Meiste davon gehört zu der Operninszenierung „Weiße Göttin“ und ist schlicht verzichtbar.
Die Meerschaumpfeife leidet bis heute an ihrer ehemaligen Herkunft. Als exotisches Material für Kunstwerke vergöttert, die sich der normale „Rauchpöbel“ selbst dann nicht hätte leisten können, wenn er ein Leben lang dafür gearbeitet hätte, als Statussymbol von der höfischen „High-Society“ herum getragen und für Kreise reserviert, die häufig mehr Geld als (Rauchsach-)Verstand hatten.
Das schafft Abstand, das schafft Respekt- so unnötig er auch ist- bis in die heutige Zeit.
Eine Meerschaumpfeife ist nicht bruchempfindlich. Ja, feine Verzierungen (wie sie sich häufig an traditionellen Pfeifen finden) können beim Sturz abbrechen. Ist die Pfeife aber eher schlicht in der Form, zieht sie sich allenfalls eine kleine Beule oder einen Kratzer zu, auch das Mundstück könnte abbrechen. Das sind aber alles Dinge, die Ihnen mit einer Bruyerepfeife auch passieren können.

Den weißen Handschuh zum Einrauchen einer Meerschaumpfeife können sie getrost in der Kommode lassen. Es kursiert ja die Meinung, dass dieser Handschuh getragen werden soll, weil anfänglich noch Wachs aus den Pfeifen austritt, wenn sie sich erwärmen. Das geschieht, weil die Pfeifen als letzten Fertigungsschritt ein Bad in siedendem Wachs über sich ergehen lassen müssen. Das Wachs dringt etwa zwei bis drei Millimeter in die Meerschaumoberfläche ein, versiegelt sie und ermöglicht nach Trocknung eine Hochglanzpolitur des ansonsten eher matten Materials.
Dieses, beim Rauchen wieder austretende Wachs soll eine dauerhafte Schutzschicht bilden und könnte durch das Hautfett der haltenden Hand dabei gestört werden, auch könnten sich in späterer Zeit Flecken bilden.
Wer diese Bedenken den türkischen Machern vorträgt, muss mit minutenlangen Lachanfällen rechnen. Diese Anfälle steigern sich zur Hysterie, wenn man die Information nachschiebt, dass in einigen Büchern dazu geraten wird, die Pfeife niemals am Kopf zu halten, um die einsetzende Verfärbung nicht zu trüben. Ein befreundeter, türkischer Pfeifenmacher fasste seine und die Meinung seiner Kollegen knapp zusammen: „Nehmen Pfeife, nehmen Tabak, machen rein, Pfeife in Hand, Feuer auf Tabak, rauchen ! Alle gut!“

Passender kann man es nicht ausdrücken. Das ganze Schickimicki und Brimborium, das in unseren Breiten um diese Pfeifen gemacht wird, steigert höchstens die Berührungsängste mit einem perfekten und alltagstauglichen Pfeifenmaterial.
Meerschaum muss man nicht einrauchen, er verbrennt nicht, ist geschmacksneutral und nimmt große Mengen Kondensat auf, das beim Rauchen entsteht. Da er die Feuchtigkeit auch rasch wieder abgibt, kann eine Meerschaumpfeife in Ausnahmefällen sogar bedenkenlos mehrfach am Tag geraucht werden. Man sollte nur darauf achten, dass sich ( im Gegensatz zum Bruyere) keine Kohleschicht an den Wänden bildet, da sie die porösen Wände der Pfeife zusetzt und so der Meerschaum die Kondensataufnahme nicht mehr ausreichend bewerkstelligen kann. Zudem sollte man dem Meerschaum allzu schroffe Temperaturunterschiede ersparen. Zum Spaziergang durch den Winterwald sollte man also lieber eine hölzerne Schwester mitnehmen.
Beherrschendes Thema ist auch die Verfärbung der Pfeifen durch längeren Gebrauch. Wer einmal im Museum eine uralte Meerschaumpfeife sah und fasziniert war von den braunen, rötlichen und grünlichen Verfärbungen des Materials, für den steht fest, dass seine Meerschaumpfeife(n) auch so aussehen soll(en). Doch, welche „Geheimtips“ man auch immer befolgt- diese Verfärbungen stellen sich bei heutigen Meerschaumpfeifen nicht mehr ein. Das hat gleich mehrere Gründe.

Einmal verfärbt sich nur der beste und somit poröseste Meerschaum so gleichmäßig. Die Verfärbungen entstehen ja durch die Kondensate, die sich, durch die Hitze unterstützt, von innen ihren Weg zur Außenhaut suchen. In Zeiten, wo Meerschaumpfeifen kostbar waren und man beinahe jede Summe dafür bekam, wurden die Knollen einzeln von Hand selektiert und nur die besten Stücke kamen zur Verarbeitung. Seit der Rohstoff immer knapper wird und selbst die Preise für Top-Pfeifen deutlich volkstümlicher wurden, werden auch nicht ganz so perfekte Rohmaterialien verarbeitet. Blöcke, die z.B. unterschiedlich dicht in der Struktur sind, lassen nur noch an den porösesten Stellen wirkliche Verfärbungen zu. Die dichteren Flächen verfärben sich maximal beige oder hellbraun- mehr wird es nicht.
Früher wurden die Pfeifenköpfe vor dem Bad im heißen Wachs in Walrat getaucht. Diese weiße Masse aus den Stirnhöhlen von Pott-und Entenwalen besteht hauptsächlich aus Palmitinsäure-Cetylester. Es sättigte das Mineral, so dass die Kondensate und somit die Verfärbungen in größerer Menge den Weg zur Außenhaut fanden. Ich finde es allerdings sehr erleichternd, dass heute von der Verwendung des Walrats Abstand genommen wurde.
Zuletzt muss man darauf hinweisen, dass auch bei Museumsstücken oder Sammlerobjekten nicht alles Gold ist, was glänzt. Soll heißen, dass man in früherer (und auch heutiger) Zeit gern mal mit farbigen Wachsen und Mineralsalzen nachhalf und -hilft, um besonders imposante Verfärbungen zu erreichen.
Die stellten sich nämlich auch in früherer Zeit und unter damaligen Bedingungen erst nach 1000-2000 Rauchdurchgängen ein…und solange wollte nicht jeder darauf warten.
Als Interessent kann man eigentlich nur zwei Dinge beherzigen, um eine gute Meerschaumpfeife zu bekommen. Man sollte penibel auf die Bezeichnung „BLOCKmeerschaum“ achten und, falls es Unklarheiten gibt, lieber noch einmal betont nachfragen. Das es gute Blockmeerschaumpfeifen nicht für 50-60 Euro geben kann, dürfte jedem nach den bisher geschilderten Punkten klar sein. Sparsamkeit an der falschen Stelle zahlt sich nie aus, auch nicht bei Pfeifen und schon gar nicht bei Meerschaum. Der zweite Punkt ist das Bauchgefühl. Der Kauf einer Meerschaumpfeife ist Vertrauenssache. Schauen Sie sich die verschiedenen Anbieter und ihre Pfeifen an und entscheiden Sie nach persönlichem Empfinden. Hören Sie sich im Kreise der Pfeifenfreunde um.
Gute Anbieter und Händler haben meist auch einen guten Ruf in der Mundpropaganda.

So, bis hierher haben wir viel über den Rohstoff und die fertigen Pfeifen gesprochen. Schauen wir uns doch jetzt einmal an, wie eine solche Pfeife gefertigt wird.
Ja, es gibt sie, diese Geschichten. Die, über winzig kleine Schuppen, in denen die Meerschaum-Schnitzer tief gebeugt auf alten Schemeln sitzen und beim spärlichen Licht der Petroleumlampe den Meerschaumknollen mit dem Schnitzmesser Leben einhauchen.
Dieses, vor dem inneren Auge des Pfeifenfans entstehende, romantische Gemälde mag seinen Reiz haben (solange man nicht selbst auf dem Schemel sitzt), ist aber heute häufig überholt, bzw. hat so nie existiert. Natürlich gibt es in den kleinen Dörfern immer noch Schnitzer, die ihre Pfeifen direkt vor Ort fertigen. Deren Werkstattausrüstung mag auch rustikal anmuten, doch entspricht sie eher der Gewohnheit, der Umgebung und Ausrüstung, mit der der jeweilige Macher sich wohlfühlt. Ein Bedauern aus unserer, eher technisch orientierten Sicht ist unangebracht. Im Epizentrum des Meerschaumpfeifenbaus, in Eskisehir findet man dann weitere Varianten an Fertigungsstätten. Von der solide eingerichteten Individual-Werkstatt mit angeschlossenem Laden bis zu Manufakturen mit mehreren Angestellten und moderner Unternehmensführung, wie zum Beispiel ALTINAY.

Zunächst werden die grob vorgereinigten Blöcke zur ersten Trocknung in einem zugfreien, feuchten Raum gelagert. Die Trocknung muss sehr langsam erfolgen und darf nicht durch Wärme oder Luftzufuhr forciert werden. Es könnten sonst Risse entstehen. Danach werden Unebenheiten und Einlagerungen mit speziellen Messern beseitigt und die Knollen mit einer Art kleinem Beil grob in die Grundform geschnitten. Diese Arbeiten erfordern viel Geschick und Erfahrung, soll doch so wenig wie möglich vom kostbaren Rohmaterial als Abfall enden.
Nun werden die vorbearbeiteten Stücke in einem wärmeren Raum weiter getrocknet. Es folgt die Sortierung nach Qualitätsstufen. Kleinere Stücke , die sich nicht zur Pfeifenfertigung eignen, werden aussortiert und zu anderem Schnitzwerk weiter verarbeitet. Die für Pfeifen vorgesehenen Stücke werden dann mit dem Messer in die jeweiligen Grundformen geschnitten und etwa 30 Minuten in kalkfreies Wasser gegeben. Das macht den Meerschaum wieder etwas weicher und so leichter zu bearbeiten.

Die fehlerlosen Stücke bekommen dann ihre Kopfform an so genannten Tritt-Drehbänken, nachdem zunächst die Tabakkammer gebohrt wurde. Es handelt sich dabei um fußbetriebene Drehbänke. Der weiche Meerschaum lässt sich gut bei niedriger Drehzahl bearbeiten, die per Fußbedienung ideal angepasst werden kann. Dort, wo Arbeiter den „Halbtritt“ beherrschen, kann durch geschickte Pedalbedienung eine Hin-und Rückbewegung der Werkachse erreicht werden. So lässt sich z.B. das Material aus dem Winkel zwischen Holm und Kopf abdrehen. Wo solche Geräte oder solches Geschick nicht vorhanden sind, wird das Material durch Handschliff entfernt. Die Zugkanalbohrung erfolgt bei geraden Modellen dann maschinell, bei Bents durch Luftschrauber mit der Hand. Nachfolgend werden die Pfeifenoberflächen geglättet. Das geschieht durch Ziehklingen, mit Schleifmitteln verschiedener Körnungen und abschließend mit Bimsmehl. Tauchen dabei Unsauberkeiten oder Fehler im Material auf, werden die Köpfe zur Beschnitzung aussortiert.

Waren die Oberflächen der traditionellen Meerschaumpfeifen zumeist ornamentiert oder figürlich beschnitzt, setzte sich bei der Topqualität in den letzten Jahrzehnten die glatte Oberfläche durch. So ließ und lässt sich makellose Oberfläche am besten präsentieren und die Pfeifen entsprechen eher dem europäischen Geschmack. Tauchen nun aber Fehler an der Oberfläche auf, wird es schwierig. Man hat versucht, ein Kitt-Verfahren mit Meerschaumstaub und Eiweiß zu entwickeln, das führte aber nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen. So machte man aus der Not eine Tugend und beschnitzt diese Köpfe, wobei man die Fehlstellen entfernt. Das ist der Grund, warum makellos glatte Meerschaumpfeifen teurer sind, als ornamentierte Pfeifen. Es ist ähnlich, wie bei der Rustizierung von Bruyerepfeifen. Man bekommt dafür zumeist weniger Geld, obwohl die Arbeit aufwendiger ist- aber, die Pfeifen bleiben immerhin verkäuflich. So handhaben es zumindest die Meerschaum-Manufakturen. Die einzelnen, traditionellen Macher können sich oft eine unbeschnitzte Meerschaumpfeife aus ihren Händen gar nicht vorstellen, völlig egal, wie gut das Ausgangsmaterial ist.

Zum Schnitzen wird der Meerschaum wieder angefeuchtet, um ihn weicher und besser bearbeitbar zu machen. Dann werden die Ornamente oder Figuren herausgearbeitet und nach erfolgter Trocknung des Kopfes werden am wieder hart gewordenen Meerschaum dann die Feinarbeiten an der Musterung durch Schliff und Fräsung ausgeführt.
Nun werden die fertigen Köpfe auf Holzstangen gesteckt, denn es erfolgt das bereits besprochenen Bad in siedendem Wachs (bei manchen Machern auch in Parrafin). Ein Arbeitsgang der enorme Aufmerksamkeit erfordert. Da die Köpfe unterschiedlich das Wachs annehmen, muss der zuständige Mitarbeiter sehr genau auf die gleichmäßige Färbung und das Ausbleiben von Blasenbildung achten und die Köpfe zu ganz unterschiedlichen Zeiten aus dem Wachsbad nehmen. Danach dürfen sie bis zur endgültigen Trocknung nicht mit den Händen berührt werden, weil sich sonst Flecken auf der Oberfläche bilden.

Der Holm erhält danach eine Bohrung, in die der Zapfen für das Mundstück geschraubt wird. Übrigens mit Rechtsgewinde, warum man das Mundstück einer Meerschaumpfeife niemals links herum entfernen sollte, weil die Gefahr besteht, den eingeschraubten Zapfen zu lösen. Abschließend wird ein (oft handgefertigtes) Mundstück aus zumeist einfarbigem Acryl oder Kunstbernstein angepasst und die ganze Pfeife auf Glanz poliert.
Die Reststücke, die bei der Pfeifenproduktion anfallen, werden zu Meerschaumpulver gemahlen und gehen in die Industrie, zur Herstellung von Pressmeerschaum. Früher waren es vor allem europäische Firmen, die dieses Meerschaumpulver abnahmen, um daraus Pressmeerschaum- (nur aus Meerschaum) oder Massameerschaum- ( unter Zusatz von Aluminiumsilikat)Blöcke zu machen, aus denen dann Pfeifen geformt und geschnitzt wurden. Heute geht das Meerschaumpulver vornehmlich nach Fernost. Dort fertigt man daraus Pfeifen, Einsätze für Calabashen und Inlays für Bruyerepfeifen.
Jedoch finden sich auch in der Türkei immer mehr Händler, die auf Verkaufsplattformen, wie ETSY und Co. Meerschaumpfeifen zu sehr günstigen Konditionen anbieten. Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass zwischen „Meerschaumpfeifen“ und „Blockmeerschaumpfeifen“ der entscheidende Qualitätsunterschied besteht. Wo das Wörtchen „Block“ fehlt, gilt es entweder, nachzufragen oder mit den deutlich eingeschränkten Rauchqualitäten von gepresstem Meerschaum zu leben- das muss jeder selbst entscheiden.
Völlig egal, was manche Pfennigfuchser und Schlaumeier an wundersamen Erkenntnissen über den Pressmeerschaum zusammengetragen haben wollen. Er kann niemals auch nur ansatzweise die Qualität von Blockmeerschaum erreichen. Ihm fehlt die natürliche Porosität des Sepioliths, wodurch ja das Rauchen einer solchen Pfeife erst so besonders trocken und problemlos wird.

Wie der Name schon sagt, wird der Brei gepresst und ist somit in seiner Konsistenz und Kompaktheit eher mit Gips zu vergleichen. Bruyere-Pfeifen wurden auch nie mit Meerschaum-Inlays gefertigt, um ein kühleres Rauchen zu ermöglichen. Das hätte selbst bei Blockmeerschaum mit so dünnen Wänden nicht funktioniert. Diese Einsätze wurden in früherer Zeit nur erfunden, um den Rauchern das Einrauchen des Holzes zu ersparen. Wer also glaubt, er könne sich die guten Eigenschaften des Blockmeerschaums auch durch solche Lösungen günstig sichern, der irrt und wirft nur Geld nutzlos aus dem Fenster.
Womit wir zur letzten Legende rund um die Meerschaumpfeife kommen. Das eine Blockmeerschaumpfeife teuer ist, stimmt nämlich wirklich nicht. Wer die Preise für gehobene Serienpfeifen aus Bruyere betrachtet, ist schnell bei 150-180 Euro…auch 200 Euro sind keine Seltenheit. Um für eine vergleichbare Summe eine erstklassige Blockmeerschaumpfeife zu bekommen, muss man nur einen Rat beherzigen und die Möglichkeiten des Internets, der sozialen Netzwerke nutzen. Hier bieten viele gute Macher ihre Pfeifen als Direktverkauf an- ohne den Umweg über den teils unverschämt kalkulierenden Groß- und Fachhandel. Versuchen Sie es einmal auf diesem Weg. Sie werden viele nette Menschen kennenlernen und Pfeifen erhalten, die ihr Geld mehr als wert sind….und die sollten sie dann auch regelmäßig rauchen. Das wird Sie davon überzeugen, dass die meisten Vorurteile gegen diese Pfeifenart nur Schall und Rauch sind. Ebenso überflüssig, wie die Bezeichnung „weiße Göttin“, über die sich schon Otto Pollner zurecht aufregte.
