CHARATAN-Der steinige Weg eines großen Namens

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Wir schreiben das Jahr 1863. Ein, von Österreich kommender, russisch-jüdischer Einwanderer eröffnet im Londoner Stadtteil Tower Hamlets, in der Mansell Street, eine Pfeifenwerkstatt, in der er Meerschaumpfeifen herstellt. Diese Pfeifen erfreuen sich binnen kurzer Zeit so einer starken Nachfrage, dass der begabte Pfeifenmacher schon bald in größere Räumlichkeiten umziehen muss. Direkt nebenan, in der Prescot Street, beginnt er dann auch, Pfeifen aus Bruyere herzustellen. Pfeifen, deren Qualität dem Mann und seinem Namen zu Weltruf verhelfen werden. Sein Name ist Frederick Charatan.

Von vorne herein kam es für Charatan nicht in Frage, die Teile für seine Pfeifen von fremden Lieferanten fertigen zu lassen, um sie dann nur zu komplettieren, wie es seinerzeit üblich war. Er beschloss, alle Arbeitsschritte in der eigenen Werkstatt auszuführen und wurde so der erste, englische Pfeifenbauer, der Köpfe, Mundstücke und Applikationen selbst herstellte. Sein Stempel „Charatan`s Make“ wies auf diese Besonderheit hin und wurde innerhalb kürzester Zeit zu DEM Qualitätsmerkmal englischer Pfeifen.

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Charatans Klassiker

Die Pfeifen waren so gut, dass Charatans Mitbewerber, Alfred Dunhill, im Jahr 1908 in Charatans Werkstatt vorstellig wurde. Dunhill importierte zu dieser Zeit Pfeifen für sein Geschäft aus Frankreich, war mit der Qualität aber absolut unzufrieden. Man kam überein, dass zukünftig Charatan die Pfeifen für Dunhill machen sollte. Der clevere Frederick Charatan ließ sich diese Leistung allerdings fürstlich entlohnen. Alfred Dunhill rächte sich dafür, in dem er im Jahr 1910 den besten Mann in Charatans Werkstatt für seine eigene Pfeifenmacherei abwarb. Dieser Mann war Joel Sasieni. Mit Sasienis Hilfe baute Dunhill eine eigene Pfeifenfertigung in der Duke Street auf.

Noch im gleichen Jahr begab sich Frederick Charatan in den wohlverdienten Ruhestand und sein Sohn Reuben übernahm die Geschicke der Firma. Das lief über Jahrzehnte recht gut. Um 1950 herum nahm der amerikanische Pfeifenmogul Herman G. Lane Kontakt zur Familie Charatan auf, da er seine Geschäfte in England ausbauen wollte. Ohne Zweifel erlangte Lane einen gewissen Einfluss auf die Firma Charatan. Im Jahr 1955 löste er in den Vereinigten Staaten den bisherigen Charatan-Importeur Wally Frank ab und übernahm die alleinige Charatan-Vertretung für die USA.

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Reuben Charatan bei der Sichtung des firmeneigenen Bruyere-Lagers

Rührig und engagiert, wie Lane war, verhalf er der Marke in den USA zu einem hohen Ansehen und erstaunlichen Verkaufserfolgen. Dabei waren Charatans in Amerika beileibe kein Sonderangebot. Bereits 1961 überschritt Charatan in den Staaten die magische Preisgrenze von 100 Dollar für ihre Spitzenlinie. Seinerzeit unglaublich viel Geld für eine Pfeife. 1962 verstarb Reuben Charatan und seine Witwe verkaufte die Firma zwei Jahre später an Herman G. Lane.

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Werbung aus dem Jahr 1949

Das Geschäft lief gut, bis 1978. Mit dem Tod von Herman G.Lane begann der langsame Untergang der Marke, denn Lanes Erben verkauften Charatan in diesem Jahr an Dunhill.

Im Hause Dunhill wurden schon seinerzeit etliche, nicht wirklich nachvollziehbare Entscheidungen getroffen. Schon im März 1982 schloss Dunhill die Charatan-Produktion in der Prescot Street, in London. Seither waren verschiedene Hersteller für die Charatan-Fertigung zuständig. Sowohl der Ruf der Marke, als auch die Qualität sanken auf ein erschreckendes Niveau. Im Jahr 1988 war Charatan soweit herunter gewirtschaftet, dass Dunhill die traurigen Reste an die James B. Russell Inc. in New Jersey verkaufte. Danach wurde es allerdings nicht besser. Russell ließ die Charatan-Pfeifen in St.Claude fertigen. Eigentlich war man von dort ordentliche Qualität gewohnt. Was aber unter dem Namen Charatan von dort kam, waren groteske und qualitativ minderwertige Imitate einstmals berühmt gewordener Shapes. Die Jahre bis 2002 gelten als die schlimmste Zeit, die der Name Charatan erdulden musste.

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Ein Traum- Charatans allererster Güte aus der Ferigung von Colin Fromm.

Das Jahr 2002 brachte dann die lange verdiente Wende für den berühmten Namen. Als Russell seine Geschäfte aus Altersgründen aufgab, kaufte Dunhill den Namen zurück und besann sich wohl auf alte Tugenden.

Man gewann den englischen Spitzen-Pfeifenmacher Colin Fromm und seine Firma Invicta Briars für die Aufgabe, von nun an die Charatan-Modelle zu fertigen. Seit Fromm und sein Mitarbeiter Colin Leeson für die Fertigung verantwortlich sind, haben Charatan-Pfeifen zu alter Qualität gefunden und sind dabei auch noch bezahlbar geblieben.

Chaotische Firmenorganisation und eklatante Fehlentscheidungen der Managements sind seit jeher typisch für die britische Pfeifenfertigung. In Sachen Charatan ist aber ein absolutes „Meisterstück“ dieser Kategorie gelungen.

Ganze Heerscharen von Sammlern und Markenfreaks kümmern sich seit langen Jahren darum, die Firmenstrukturen zu entwirren und die jeweiligen Modelle zeitlich und qualitativ einzuordnen. Dies kommt einer Sisyphusarbeit gleich. Aus der Zeit, in der sich Charatan noch in Familienbesitz befand, gibt es kaum Unterlagen. Diese wurden bei einem Firmenbrand weitgehend vernichtet.

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Modell mit dem, für Charatan so typischen „DC“-Mundstück

Routineverfahren, wie identische Stempelungen und Qualitätsmarkierungen waren bis in die fünfziger Jahre weitgehend verpönt und unbekannt. Da macht auch Charatan keine Ausnahme. Das es Sammler und Enthusiasten geben könnte, hatte man weltweit nicht auf dem Schirm. Einzige, für Sammler heute erfreuliche Ausnahme stellt das Kalendersystem von Dunhill dar. Doch, auch das wurde nicht für Sammler, sondern aus firmenpolitischen Gründen erdacht. Bei Charatan besserte sich der lasche Umgang mit Stempelungen erst, als Herman Lane an Einfluss gewann. Er achtete mehr auf einheitliche Kennzeichnung und Graduierungen. Dadurch wurde es zwar besser…einheitlich kann man es aber nur mit äußerstem Wohlwollen nennen. So ist denn die Verwirrung häufig groß und der Klärungsbedarf enorm. Nicht einmal an typischen Merkmalen kann man exaktere Bestimmungen vornehmen. Als Beispiel sei hier der zweistufige Biss genannt, der DC (Double Comfort), für den viele Charatans so bekannt sind.

Während aus Firmenunterlagen hervorgehen soll, dass dieser Biss in den fünfziger Jahren eingeführt wurde, geben andere Quellen an, dass diese Art Mundstück 1960 von Herman Lane initiiert wurde. Zudem wurden in der gesamten „Lane-Ära“ sowohl die DC`s , als auch normale Mundstücke verbaut.

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Gut erhaltene Charatan-Kataloge sind ebenfalls gefragte Sammlerstücke

Doch, die Charatan-Fans sind zäh, findig und geduldig. Man fand mit den Jahren immer mehr Merkmale heraus, an denen man sich orientieren kann und immer mehr Details über die Geschichte des Unternehmens kamen ans Licht. Es gibt Abhandlungen in Büchern, Aufsätze, Foren, Diskussionsgruppen und regen Austausch zwischen den Fans und Liebhabern der Charatans auf der ganzen Welt. Ähnlich, wie bei Dunhill und Peterson kann man sich im Thema verlieren, oder um es positiver zu formulieren: Charatan kann zur Lebensaufgabe werden. Sollten Sie sich angesprochen fühlen, seien Sie augenzwinkernd gewarnt. Diese Berufung kann arm machen. Gerade für Charatans der „Family-Ära“ werden in Sammlerkreisen exorbitante Summen gezahlt…aber, Leidenschaft ist nie billig !

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Seltenes, gut erhaltenes Stück aus der „Family-Ära“

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