Bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges gehörte Italien mit Firmen wie Rossi oder Gigi zu den Ländern mit den höchsten Pfeifenproduktionszahlen weltweit. Die Pfeife hatte seinerzeit auch einen ganz anderen Stellenwert. Sie war ein Gebrauchs- und Verbrauchsartikel. Riesige Stückzahlen waren nötig, um die Nachfrage auf der ganzen Welt befriedigen zu können. Für Individualismus war da wenig Platz und der geschäftliche Erfolg war weniger eine Frage der Qualität, sondern der Produktionskapazität. Alfred Dunhill in London wurde vom Anbeginn seines Schaffens misstrauisch beäugt. Er ging klar einen anderen Weg, belieferte seine zahlungskräftige Kundschaft mit ausgesuchter Klasse statt Masse und legte hohe Fertigungsstandards für seine Produkte fest. Die großen Produzenten belächelten seine „spleenige“ Einstellung. Ging es doch schließlich darum, eine tägliche (!) Produktionsmenge von 20-40000 Pfeifen zu erreichen. Da war für solches Denken kein Platz. Masse schuf wirtschaftlichen Erfolg und nur darum ging es.
Schaute man aber genau hin, konnte man zwei Entwicklungen bei Dunhill sehr gut beobachten. Einmal erreichte er auch mit seiner Geschäftsphilosophie immer erstaunlichere, finanzielle Erfolge. Zum Zweiten wurde Dunhill zum hochangesehenen Qualitätsprodukt für Pfeifenfreunde, die in der Pfeife mehr sahen, als ein bloßes Gerät zur Tabaknutzung. Das hohe Ansehen, dass Alfred Dunhill damit erreichte, machte manchen Nachwuchsmann in der Pfeifenbranche nachdenklich, zumal schon vor dem zweiten Weltkrieg absehbar war, dass immer mehr Raucher zur simpleren und „schnelleren“ Zigarette abwanderten und die massige Nachfrage nach Pfeifen auf Dauer so nicht bleiben würde.

In Italien waren es zwei junge Pfeifenmacher, die 1946 begannen, eine eigene Manufaktur aufzubauen und sich dabei ein Beispiel an Dunhill nahmen. Über Achille Savinelli jr. habe ich an anderer Stelle in diesem Blog bereits berichtet. Der andere Visionär mit hohem Anspruch war Carlo Scotti. Er überlegte sich sorgfältig, welchen Namen er seiner Manufaktur geben wollte. Zunächst sah er die Schweiz als möglichen Markt, aber auch Spanien, Deutschland und nicht zuletzt England standen auf seiner Wunschliste. Der Name seiner Firma sollte edel sein, in vielen Sprachen zumindest ähnlich klingen…und Anspruch vermitteln. Er nannte seine Manufaktur CASTELLO.
Eröffnet wurde Scottis Manufaktur in Canu, seinem Heimatort, etwa eine gute halbe Stunde von Mailand entfernt.

Damals wie heute ist es eine Sache, Ideen zu haben und sie nach eigenen Vorstellungen zu fertigen. Eine andere Sache ist, wie der Markt diese Ideen aufnimmt und darauf reagiert. Scotti war von seinem Vorbild Dunhill und seinen Pfeifen derart beeindruckt, dass seine eigenen Entwürfe und Ausführungen den englischen Pfeifen beinahe aufs Haar glichen. Die Zielgruppe für diese Pfeifen wurde aber bereits von Dunhill, Charatan, Barling und Co. ausreichend versorgt und sah keine Notwendigkeit, das Risiko einzugehen, zu einer bis dahin unbekannten Marke zu wechseln.
Es fehlte Scotti schlicht am eigenen Stil. Zudem sah er es als zusätzliche Betonung der edlen Art an, besonders kleine Pfeifen zu machen. Der Kunde verlangte aber eher nach etwas größeren Köpfen, zu dieser Zeit. Außerdem beschloss Scotti, seinen Kunden die pflegeintensiven Ebonit-Mundstücke zu ersparen und setzte auf Acrylate als Mundstückmaterial, was bei der konservativen Klientel aber eher auf Ablehnung stieß. So wäre die Existenz der Marke CASTELLO beinahe recht kurz ausgefallen, denn 1953 stand Scotti vor dem Aus. Zwar hatte er sich eine treue Kundschaft aufgebaut, die die Qualitäten seiner Pfeifen schätzte, doch die Anzahl der verkauften Pfeifen war zu gering, um davon leben zu können.

Der Zufall wollte es, dass Carlo Scotti zu dieser Zeit auf Wally Frank traf. Der Amerikaner galt als DER Verfechter hochwertig gefertigter Pfeifen in den USA. Frank war es gelungen, im amerikanischen Pfeifenraucher einen Umdenkprozess in Gang zu bringen. Weg vom Massenprodukt und hin, zu individuell gefertigten Qualitätspfeifen. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt auf Einkaufsreise in Italien, schaute sich die CASTELLOS an und war so begeistert, dass er den US-Vertrieb übernahm. Sein Ziel war klar, die CASTELLO-Pfeifen in den Staaten zu einem Dunhill-Mitbewerber zu machen. Da er seine Landsleute kannte, plante er ausgefuchste Werbekampagnen und einen direkten Bezug. Auf seinen Wunsch hin verloren die CASTELLOS ihren feinen, weißen Balken als Kennzeichnung. Stattdessen wurde ins Mundstück ein „Diamant“ eingesetzt. Es handelte sich um ein, geschickt gerolltes Kügelchen aus Aluminiumpapier unter Plexiglas. Was skurril anmutet, war seinerzeit ein echter Marketinghit und stellte zudem optisch die Nähe zum weißen Punkt von Dunhill her.

Wally Franks Ideen zündeten, zumal er nicht müde wurde, seinen Landsleuten die Bedeutung handgefertigter Pfeifen zu erläutern. Er machte sehr eindringlich den Unterschied zwischen einem Massenprodukt, das durch viele Hände geht und der Fertigung einer Pfeife durch einen, einzelnen Meister klar. Letztlich ging es nicht nur um hervorragende Rauchbarkeit, sondern auch darum, dass die Pfeife mehr und mehr Stellenwert als Statussymbol bekam. Ein Luxusartikel, mit dem man sich nicht nur Rauchvergnügen, sondern auch Ansehen zulegen konnte. Was Frank und Scotti zusätzlich in die Hände spielte, war die Tatsache, dass italienischer Chic in den USA zunehmend Anhänger auch in den prominenten Kreisen fand. Nicht umsonst eröffnete Gucci in dieser Zeit seine erste Boutique in New York. Italien war in und Scotti mit seinen Produkten zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Die Partnerschaft zwischen Frank und Scotti war aber nicht frei von Reibereien und Problemen. So verdächtigte Frank den Italiener, oft nicht die Pfeifen der ersten Wahl nach USA zu schicken. Mit der wechselnden Qualität war Wally Frank nicht glücklich. Er forderte Carlo Scotti auf, mit seiner Pfeifenmanufaktur in die USA umzusiedeln, um dort schnelleren und besseren Zugriff auf Pfeifen und Produktion zu haben. Doch Scotti hatte an Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit deutlich dazu gewonnen und lehnte die Forderung ab. Er befürchtete, dass sein inzwischen gefundener Stil unter dem amerikanischen Einfluss leiden würde.
Zu Beginn der 60er Jahre war die Auftragslage derart heftig, dass sich Scotti in Italien nach Verstärkung umsah. Dabei hatte er eine glückliche Hand. Mit den beiden Nachwuchsmachern Luigi „Gigi“ Radice und Peppino Ascorti zusammen entwickelte Scotti in der Folgezeit eine Formenästhetik, die den Markt, besonders auch in den USA, schier zur Verzückung brachte. Der Run auf die Castellos war so enorm, dass amerikanische Sammler im ganzen Land umher telefonieren mussten, um eventuell eine CASTELLO erstehen zu können. Fand sich ein Händler, der willens war, eine solche Pfeife zu verkaufen, legte der Käufer in der Regel eine satte Prämie auf den Kaufpreis drauf, um sie zu bekommen.

Aus der Zeit danach liest man oft, dass Radice und Ascorti daraufhin Carlo Scotti im Stich gelassen hätten, um selbst vom Italien-Boom in den USA zu partizipieren. Ganz so stellt sich die Wahrheit nicht dar. Scotti war ganz froh, dass Ascorti mit seinen „Caminetto“-Pfeifen startete und auch Gigi Radice eine eigene Pfeifenproduktion begann. Auf Dauer hätte Scotti den Auftragsdruck nicht bewältigen können und so verteilte sich das Käuferinteresse zumindest auf drei Firmen, die allesamt vom Ergebnis gut leben konnten. Scotti fand neue, gute Leute für seine Fertigung, Ascorti legte nach und produzierte mit „Caminetto“ und „Ascorti“ zwei Linien und auch Radice hatte reißenden Absatz bei seinen Modellen. Kurios war, dass man sich auf dem US-Markt die Kundschaft noch nicht einmal weg nahm. Wer eine Ascorti kaufte, suchte meist auch eine CASTELLO als Vergleich und eine Radice als Ergänzung. Wie gesagt, der amerikanische Pfeifenraucher war regelrecht im Italien-Fieber und das über etliche Jahre.

CASTELLO war endgültig eine feste Größe im Markt und auch europäische Pfeifenraucher wussten die Qualitäten der Scotti-Pfeifen längst zu schätzen. Carlos Tochter, Savina Scotti, hatte zwischenzeitlich Franco „Kino“ Coppo geheiratet und Carlo Scotti übergab Anfang der 80er Jahre die Firma an seine Tochter und seinen Schwiegersohn. Wieder bewies er damit eine glückliche Hand. Ganz in seinem Sinne betrieben sie die Manufaktur weiter, Franco Coppo führte aber kleinere Ergänzungen ein. Er änderte die Linienbezeichnungen und führte das K (von seinem Spitznamen Kino) als Graduierung und Größenbezeichnung ein. Zudem kehrte man, auch für die USA, zum alten Zeichen auf den Pfeifen zurück, zum berühmten „Castello-Riegel“.Das schadete den CASTELLOS nicht. Im Gegenteil, es war notwendig, ein solches System einzuführen. Davor waren die CASTELLOS frei von solchen,gestempelten Bezeichnungen, was manchen, skrupellosen Verkäufer dazu animierte, etwas „nachzuhelfen“! 8000 verkaufte Pfeifen, am Ende des Übernahmejahres, sprachen eine deutliche Sprache.

Als Carlo Scotti im Jahre 1988 verstarb, ging er im Wissen um eine gesicherte Zukunft seines Lebenswerkes.
Die glatten Serien „Castello“, „Perla Nera“ und „Collection“ erfreuen sich bis heute unter den Kennern ebenso einer großen Beliebtheit, wie die „Old Aniquari“-Reihe. Besonders gefragt, gerade auch im deutschsprachigen Raum, sind die kernig rustizierten „Sea Rock“ und „Old Searock“, sowie die „Natural Vergin“ und die „Epoca“.
Ob es Carlo Scotti gefreut hätte, dass seine CASTELLOS den ehemaligen Vorbildern von Dunhill in Qualität und Ausführung längst überlegen sind?

Während Alfred Dunhills Erbe von Jahr zu Jahr weiter gefleddert und zerstört wurde und wird, atmet die Manufaktur von CASTELLO bis heute den Geist des Gründers. Sauber und modern die Produktion, engagiert und erfahren die Handwerker. Alle Beteiligten wissen um das, was sie tun. Handgearbeitete Pfeifen zu fertigen, die heute mit Sicherheit zum Besten gehören, was man für Geld am Markt kaufen kann. Das macht CASTELLO-Pfeifen sicher nicht zu Sonderangeboten…aber zu Investitionen, an denen man lange Jahre Freude und Genuss haben kann…und darauf kommt es schließlich an!
