Der „Orient“-Tabak. Versuch einer Erläuterung

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„Bremer Flagge“- Eine einstmals in Deutschland sehr beliebte Orient-Mischung von Vogelsang aus Bremen. 50 Gramm kosteten 30 Pfennige.

Noch heute ist der Orient-Tabak zumindest bei den Pfeifengenießern in aller Munde. Oftmals wird von ihm aber nur als Sammelbegriff gesprochen. Das es Unterschiede gibt erfährt man zumeist erst, wenn man sich näher mit der Materie befasst. Wer bis ins kleinste Detail geht, kann über diese Tabaksorten schon eine wissenschaftliche Arbeit verfassen. Das erspare ich mir, möchte aber ein wenig aufdröseln, wovon die Rede ist und wie sehr und warum er sich von anderen Tabaksorten unterscheidet.

Sogar noch in der heutigen Zeit wird häufig  von „türkischen Tabaken“ gesprochen, wenn die Rede auf diese Tabaksorten kommt. Das hat seinen Ursprung in der ehemaligen Ausweitung des osmanischen Reiches.

Durch den englischen und holländischen „Levantehandel“ (was sinngemäß so viel bedeutete, wie „Handel mit dem Morgenland“) kamen die Tabaksorten aus der neuen Welt Anfang des 17. Jahrhunderts auch ins osmanische Reich. Dort hatte der Tabak oder besser, der Tabakgenießer, zu Anfang keinen leichten Stand. Man begegnete dieser neuen Genussart ablehnend bis verschreckt und griff anfänglich zu drastischen Maßnahmen. So schlug Sultan Amurath noch 1625 angetroffenen Rauchern mit Vergnügen höchstpersönlich den Kopf ab. Viele Jahre später aber gab Sultan Mohammed der 4. den Widerstand endgültig auf und der Tabak konnte ungehindert im gesamten osmanischen Reich genossen und angebaut werden.

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Samsoun (oder Samsun) – Rohtabakblätter

Um zu verstehen, wie wichtig der Handel mit dem osmanischen Reich war, muss man sich die Mächtigkeit des Reiches zur Mitte des 17.Jahrhunderts vorstellen. Es reichte nördlich bis zur Grenze von Österreich, umfasste die Balkanländer, Teile der Krim, den nahen Osten, bis zum persischen Golf und fast ganz Nordafrika. Überall dort, wo sich der Anbau anbot und Bauern auf der Suche nach neuen Einnahmequellen waren, fand nun der Tabakanbau und die –kultivierung  ein neues Zuhause.

Man stellte schnell fest, dass die „Urtabake“, die in den heutigen USA angebaut wurden, sich im Orient nicht so recht wohl fühlten. Viel Sonne und größtenteils kargere Böden ließen die Pflanzen eher kümmerlich sprießen. Aus dieser Not machte man aber mit dem großen Geschick für Anbau und Pflanzen eine Tugend. Dazu aber später mehr. Im Laufe der Zeit verfiel der Gebietsanspruch des osmanischen Reiches immer mehr. Die letzten beiden, für den Tabakanbau relevanten Daten waren die Balkankriege (1912-1913) und der erste Weltkrieg (1914-1918)

Die bedeutenden Tabakanbaugebiete in Mazedonien (Cavala, Drama, Seres u.s.w.)verloren die Osmanen in den Balkankriegen an Griechenland, an Bulgarien fielen andere, bedeutende Tabakgegenden, wie Stromitza, Gorna, Djumbaia und Melnik. Dazu kam, nach dem ersten Weltkrieg, der Verlust der thrakischen Anbauflächen von Xanthia (türkisch Yenidze) und Gümüldchina an Griechenland. So erklärt es sich, dass auch dann heute noch von „türkischen“ (oder gar von „osmanischen“) Tabaken die Rede ist, wenn die Kräuter längst nicht mehr auf dem Boden des, einst so bedeutsamen, Reiches sprießen.

Die wichtigsten Anbaugebiete in der Türkei liegen heute auf anatolischem Gebiet. Hier ist vor allem die Gegend um Samsun und der Bereich um die Stadt Brussa erwähnenswert.

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Vom Aussterben bedroht: Traditioneller Orient-Anbau in Bulgarien

Wie komplex die Übersicht über die Tabaksorten ist, die wir gemeinhin als „Orienttabake“ bezeichnen, mag ein kleines Beispiel belegen.

Generell kann man die Tabake in zwei Grundsorten unterscheiden. Da ist zunächst einmal der Basma. Unter den gegebenen Boden-und Temperaturbedingungen wird diese Tabakpflanze nur etwa 50-80 cm hoch. Das ist nicht viel, führt man sich vor Augen, dass eine Virginapflanze durchaus eine Höhe von etwa zwei Metern erreicht. Die feinrippigen Basma-Blätter erreichen etwa 15-20 cm Länge. Der Basma gilt als der feinste Tabak orientalische Abstammung. Der zweite Grundtabak ist der Baschibagli. Er wird größer ( zwischen 70 cm und 120cm) und seine Blätter sind größer und gröber. Der Tabakgeschmack beim Baschibagli ist deutlich schwerer und nicht so feinaromatisch, wie beim Basma. Durch natürliche Kreuzung sind aus diesen beiden Grundsorten mit den Jahren etliche Spielarten entstanden.

Bleiben wir aber einmal beim reinen Basma. Nach der Ernte im Herbst wird dieser Basma in verschiedene Qualitätsstufen sortiert. Die Spitzengruppe behält den Namen Basma, die folgenden Qualitäten nennen sich Sirapastal, Tschikinti und Tonga. Dann gibt es noch die Bruchblatt-Kategorien Refusen und Krinti. Wenn Ihnen, lieber Leser, das schon kompliziert erscheint, warten Sie ab. Die eben erwähnten Qualitätsstufen werden nämlich noch einmal in Klassen unterteilt. Der Basma in sieben Stufen, der Sirapastal in vier Stufen, der Tschikinti in drei und der Tonga in zwei Stufen.

Um die Verwirrung komplett zu machen, sei erwähnt, dass die jeweiligen Bezeichnungen je nach Landschaft variieren.

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Feinschnitt-Mischung für Cigarette und Pfeife aus der Hochzeit der Orients in Deutschland

Viele, der einstmals bekannten Orientsorten fanden vor allem in der Zigarettenindustrie Verwendung. Aufgrund des stark zurückgegangenen Bedarfs und des recht hohen Preises für diese Tabake spielen diese heute kaum noch eine Rolle. Zudem sind für uns nur die Sorten wirklich von Interesse, die bis heute in Pfeifentabaken Verwendung finden. Versuchen wir einmal eine kleine Übersicht über die besonderen „Schmankerl“ für den Pfeifenfreund.

SAMSUN: Einer DER Klassiker, der in der östlichen Türkei, im Hinterland des schwarzen Meeres angebaut wird. Der Anbau hat hier rund 300 Jahre Tradition und die Bauern haben diesen Tabak zur Perfektion gebracht. Exakte Erntezeitpunkte und sorgsame Weiterbehandlung sind wichtig, um aus dieser Sorte die besten Eigenschaften hervorzuholen. Dann ist er dunkel, für sich geraucht eher kräftig, aber mit aromatischer Süße und einem, an Nüsse erinnernden Geschmack. Zudem hat er die Eigenschaft , die Aromen anderer, zugesetzter Tabake sehr schön verbinden, harmonisch angleichen zu können.

 

BASMA: Der oft so bezeichnete „König“, der Orienttabake. Die bedeutenste Anbaufläche befindet sich immer noch in der Gegend um Xanthi (türkisch Yenice) in Nordgriechenland. Beim Basma unterscheidet man drei Arten und zwar nach der Gegend des Anbaus. Der YAKKA wird in unteren Berghängen angebaut und gilt als edelstes Blatt. Den OVA findet man eher in mittleren Bergregionen und der DJEBEL wächst in den Hochlagen. Er gilt vielen Orient-Fans als das beliebteste Kraut. Durch die kargen Bergböden wächst er langsam und bleibt recht klein. Dadurch entwickeln seine Blätter aber eine, sehr intensive Würzigkeit und Süße.

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Aufgereiht auf Schnüren. Traditionelle Tabaktrocknung in Xanthi

 

IZMIR (SMYRNA): Der, vielen älteren Pfeifenrauchern noch als Smyrna bekannte IZMIR hat sein Hauptanbaugebiet in Anatolien. Allen Orienttabaken ist eine Art „Wachsschicht“ auf den Blättern zu eigen. Die Pflanzen bilden diese Schicht zum Schutz vor extremer Sonneneinstrahlung. Diese Schicht ist der Grund, warum die Orients die so häufig zitierte, ätherische Note entwickeln. Beim IZMIR ist diese Schicht sehr ausgeprägt. Das macht ihn so süß-ätherisch, dass er pur keinen Genuss darstellt. In einem passenden Umfeld aber, in kleinen Mengen beigemischt, macht er Mixturen besonders süß und mild.

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Hier wird Tabak sortiert. Ein Zeitdokument aus Drama, von 1938

Speziell diese Eigenheiten der Orients machten sie schon sehr früh besonders bei den englischen Tabakfabrikanten gefragt und beliebt. In England war ja die Aromatisierung von Tabaken untersagt. Da kam die Süße und ätherische Note der Orienttabake gerade recht, um „gewöhnlichen“ Mischungen eine besondere Richtung zu geben. Viele englische Klassiker verdanken ihren Charakter der Besonderheit der kleinblättrigen Spezialitäten aus dem „Morgenland“…auch, wenn es die Engländer selten für nötig hielten, das auch entsprechend zu würdigen. Eine Ausnahme stellt hier wohl die „Balkan Sobranie“ dar, für die Sie aber an anderer Stelle in diesem Blog eine ausführliche Würdigung finden.

 

In den Hochzeiten der Orienttabake machte auch die Art der Ballenpressung einen wichtigen Unterschied. Speziell der Basma wurde in einer Lagentechnik so geschichtet, dass seine Stiele nach außen zeigten, um einen besseren Feuchtigkeitsaustausch zu ermöglichen. Die perfekte Ballenfertigung war notwendig, um den Tabaken während einer unbestimmten Lagerzeit die Möglichkeit zu geben, unter den optimalen Druck-Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen zu reifen. Einer regelrechten Fermentation bei hohen Temperaturen konnte und kann man die Orienttabake nicht aussetzen. Dazu sind sie zu empfindlich und würden mit massiven Qualitätseinbußen reagieren.

Tabaktrocknung Xanthi
Blick in einen Trocknungsschuppen aktueller Produktion.

In der heutigen Zeit ist quasi nur die „Tonga-Manipulation“ übrig geblieben. Die Tabake werden zwar flach, aber nicht mehr ausgerichtet gestapelt und gepresst. Das hat den Vorteil der Zeitersparnis und somit der Kostensenkung. Zudem kann man bei dieser Packweise auch bereits bei der Pressung verschiedene Tabake mischen, was dem Kunden zusätzliche Arbeitsgänge erspart.

Man könnte diese Aufzählung beinahe endlos weiterführen, könnte noch über die Krim-Tabake erzählen, die verschiedenen Abzüchtungen vom Basibali (Kabakolak, z.B.) erwähnen und auch noch über den Latakia referieren, der ebenfalls zu den Orients gehört und durch Kreuzungen und Abzüchtungen mit und aus dem sagenumwobenen „Veilchentabak“ (Nicotiana rustica) entstand. Dem Latakia wurde aber an anderer Stelle dieses Blogs schon ausreichend Aufmerksamkeit entgegen gebracht.

Die Anbaugebiete für die Orienttabake schrumpfen aber stetig. Wie oben schon erwähnt, hat die Zigarettenindustrie quasi keinen Bedarf mehr, auch in Deutschland verdrängte nach dem Krieg die „GI-Zigarette“ mit Burley und Virginia die Orient-Zigaretten und ihre Kultur rasch und nachhaltig. Von den paar Pfeifenrauchern kann man in den Anbaugebieten nicht leben und hätte nicht in den letzten Jahren ein recht kräftiger Run auf Shisha-Tabake eingesetzt, wäre der Anbau von Orienttabaken vielleicht schon Geschichte. Doch, die Tabake für die Wasserpfeife sind eine ganz andere, wesentlich mehr auf Industriestandards festgelegte Geschichte.

Schon zur Jahrtausendwende wurde es eng für die klassischen Tabakbauer, zum Beispiel in der Türkei. Der IWF bestand seinerzeit auf den Abbau von Subventionen, allgemein war der Bedarf auch stark geschrumpft…und so ging in ehemals starken Tabakregionen, wie z.B. rund um Esentepe, im Südosten der Türkei, das Licht aus. Etwas anderes als Tabak konnte auf den extrem kargen Böden nicht zu ausreichendem Ertrag gebracht werden und so wanderten die Menschen ab. Auf die Haselnussplantagen am schwarzen Meer, zum Obstanbau nach Kayseri oder auf die Baumwollfelder.

Daran hat sich seither nichts geändert. Wirklich vom Tabakanbau leben können kaum mehr Gebiete.

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Immer noch erhältliche Mischung, die zum Test empfohlen sei, wenn Ihnen der Artikel Lust gemacht hat.

So bleibt zu hoffen, dass dem Tabakgenießer diese wunderbaren Kräuter erhalten bleiben. Die Idee, die Orienttabake vielleicht in andere Gegenden der Welt umzusiedeln, wo noch mehr Tabakanbau betrieben wird, ist übrigens zum Scheitern verurteilt. Man hat es häufig versucht. Doch, da halten es die Tabakpflanzen des Orients mit der Baumheide, die uns das Bruyere spendet.. Beide kann man nicht künstlich kultivieren und an anderen Orten anpflanzen. Sie gedeihen nicht…weil ihnen die heimischen Bedingungen fehlen. Der Wechsel von heißen Tagen und kühlen Nächten, der karge Boden…und nicht zuletzt das Knowhow der Menschen, die seit Generationen mit den Orienttabaken leben und sie zu der Güte gebracht haben, in der wir sie heute noch genießen dürfen.

Tabakdose "Türkenkost"
Noch ein bekannter Klassiker, der sehr gern auch in kleineren Shagpfeifen geraucht wurde.

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