SEMOIS-Die Tabaklegende aus den nebligen Auen

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Die Semois, auch Semoy oder Sesbach genannt, ist ein Fluß, der sich über 210  Kilometer auf die Reise von Arlon in Belgien nach Montheremé in Frankreich macht, wo er in die Maas mündet.

Auf ihrem Weg durchfließt die Semois in langen Windungen und abenteuerlichen Schleifen die Ardennen. Wildromantische Flusstäler und schmale, aber nutzbare Auen haben seit jeher die Menschen angezogen. Mancher wurde in dieser idyllischen Umgebung sesshaft und Fürsten und andere Hoheiten konnten nicht widerstehen, auf den umliegenden Bergen und Hügeln ihre Burgen zu errichten. Heute gilt dieser Teil Waloniens als Paradies für Paddler, Radler, Kletterer, Wanderer und Menschen, die einfach nur die historischen, pittoresken Dörfer und Städtchen entlang des Flusslaufes erkunden wollen.

Das Semois-Gebiet ist aber auch ein Paradies für die Freunde leiblicher Genüsse. Man kann sich durch die verschiedensten Trapistenbiere probieren, die in dieser Gegend gebraut werden, dazu die deftige, walonische Küche oder den berühmten Ardenner Schinken genießen und sich zum Dessert die berühmten Schokoladenpralinen und –torten aus Bouillon gönnen. Später dann vielleicht noch die Käsesorten der Region, verbunden mit einem Glas des feinen Weins, der hier angebaut wird und zum Abschluss ein Pfeifchen mit Semois-Tabak ? Womit wir beim Thema wären.

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Ein Blick in die Semois-Auen

Sie haben ihn schon komisch angesehen, diesen Joseph Pierret, als er in den fünfziger Jahren des 19.Jahrhunderts begann, in den Auen der Semois Tabak anzupflanzen. Tabak!Dieser Mann musste verrückt sein. Jeder wusste, was Tabak braucht, um zu gedeihen. Sonne, Wärme, reiche Böden.

Hier, in den Ardennen? Wo man doch genau wusste, wie karg die Böden sind, wie streng und kalt die Winter sein können und das die Semois-Täler nicht gerade von der Sonne verwöhnt wurden. Pierret ließ sich nicht beirren und die Leute lachten ihn aus. Naja, typisch…so hieß es. Wenn er wenigstens noch Bauer wäre. Lehrer war er, der Joseph…und nicht ganz normal im Oberstübchen. Da war man sich in den Dörfern sicher.

Doch, die feuchten, stets von Nebel umhüllten Böden brachten ein Wunder hervor. Einen Tabak, der so gar nicht mehr an seinen Burley-Urvater erinnerte. Rustikal, vollaromatisch, würzig, kräftig und so abgerundet, dass es keiner Zusätze bedürfte, um einen ausgeprägten Charakter zu entwickeln.

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Eine zeitgenössische Ansichtskarte, die die seinerzeitige Bedeutung des Tabakanbaus in der Region verdeutlicht.

So erfreute man sich an einem neuen, ganz besonderen Kraut, das aber zunächst nichts weiter war, als ein Geheimtip. Langsam, aber sicher fand der Semois jedoch Zugang zu den Rauchsalons Europas und um 1890 explodierte die Nachfrage nach diesem Rauchkraut aus der Walonie. Immer mehr Bauern säten ihre Felder mit dem Tabak ein, man konnte gar nicht so schnell und viel ernten, wie nachgefragt wurde. Schon zur Wende zum 20.Jahrhundert exportierte man den Semois sogar bis nach Afrika.

Die Täler der Semois brummten vor Geschäftigkeit. Schmiede und Mechaniker ersannen Werkzeuge für Ernte und Schnitt, Zimmerleute entwickelten eine neue Art von Trocknungsscheune, um den Tabak vor den Unbillen des Wetters besser zu schützen und es wurde wie im Rausch angebaut und geerntet. 1910 gab es rund neun Millionen Pflanzen in den Tälern, 1920 waren es bereits zwanzig (!) Millionen.

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Heutiger Anbau des Semois, auf nur noch recht kleinen Auenflächen in den Flusstälern.

Unzählige Marken und Mischungen wetteiferten um die Gunst des Kunden, es wurden sogar  Pfeifenmodelle entwickelt, die besonders geeignet sein sollten, für den unvergleichlichen Semois-Geschmack. Der Boom hielt bis zur Mitte der 50er Jahre an, um danach erst langsam, aber stetig zurückzugehen. Der Tiefpunkt wurde um 1980 erreicht. Von der einstmaligen Herrlichkeit und Geschäftigkeit war nichts mehr übrig. Die Zigarette hatte bei den Rauchern gesiegt und der Semois drohte, in Vergessenheit zu geraten, überholt vom inzwischen veränderten Zeitgeschmack. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts gab es hier fünfzig Tabakproduzenten. Heute gibt es weniger, als eine Handvoll. Die Leitfiguren und Traditionsbewahrer der Semois-Herstellung sind Gaetane und Vincent Manil.

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Die Hüter der Semois-Tradition. Gaetane und Vincent Manil in ihrem gemütlichen Tabaklädchen.

In Corbion, unweit von Bouillon, beschloss das Paar 1989, die Tradition der Tabakfertigung fortzusetzen.

Doch, nicht nur das. In ihrem Steinhaus in der Ortsmitte findet sich auch ein kleines Museum zum Thema, sowie ein Lädchen, in dem man die Tabake und Zigarren aus Semois erstehen kann. Wer nun aber glaubt, dass nur Kunden aus den benachbarten Städtchen dort einkaufen, der irrt. Die Manils und ihre Tabakfertigung haben es zu einem erstaunlichen Bekanntheitsgrad gebracht.

Hierbei hat der Zufall eine bedeutende Rolle gespielt. Der amerikanische Journalist und Pfeifenraucher Will S. Hylton bereiste vor ein paar Jahren Italien, als ihm ein Onkel seiner Frau den ersten Semois zur Probe gab. Hylton war derart angetan, dass er sich, wieder in New York, den Tabak über eine Mittelsfrau in Frankreich zusenden ließ…und zwar so viel, dass er einen Vorrat für Jahre anlegen konnte. Die Manils konnten zu diesem Zeitpunkt noch keine Tabake direkt verschicken und so war es ein Abenteuer, den richtigen Kontakt für die Versorgung zu finden. Einen, dieser glänzenden „Tabakziegel“ sandte Hylton auch an den amerikanischen „Tabakpapst“ Gregory Pease.

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„Tabakfabrik“, Laden und Museum in einem. Das Domizil der Manils und das heutige Zentrum des Semois.

Dieser zeigte sich begeistert von der Urwüchsigkeit  des Krauts und so zog der Name Semois auch langsam in amerikanische Pfeifenforen ein, wurde dort bekannter und entsprechend begehrt.

Hylton aber war von der ganzen Geschichte rund um den Tabak so fasziniert, dass er ein Jahr später für drei Tage nach Corbion reiste, um sich mit den Manils auszutauschen, mehr über Gegenwart und Tradition zu erfahren und sich anzuschauen, welche Prozesse bei der Herstellung angewendet werden. Zurück in New York schrieb er eine dreiseitige Geschichte mit dem Titel: „Tobacco that`s so Brooklyn- but made in Belgium.“ Die Geschichte erschien tatsächlich im „New York Times Magazine“ und sorgte für weitere Bekanntheit.

Deshalb schauen die Manils heute nicht mehr erstaunt, wenn ein kamerabewehrter Japaner oder eine Person im edlen Kaftan den kleinen Laden betreten, um Tabak und Cigarren zu erstehen.

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Vincent Manil vor seinem Rohtabakvorrat
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Hier wird geschnitten. Einmal in hauchdünne Tabakfäden und in zweiter Version als eine Art Krüllschnitt.
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Der Meister bei der Arbeit
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Dann wird in die berühmte Riegelform gepresst. Hier die dünne Variante…
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…und dann als typischer „Goldbarren“ verpackt.

Es sei das weiche, neblige Klima und der karge Boden, die die Besonderheit des Semois hervorbringen, erklärt Gaetane Manil. Es gäbe viele Raucher der Cigarren und des Pfeifentabaks, die nur und ausschließlich Semois genießen, sagt sie. Durch die weltweite Vernetzung spräche sich der besondere Charakter der Tabakwaren aus Corbion herum und daher wären auch Kunden aus China und Australien inzwischen keine Seltenheit mehr. Durch die belgische Gesetzgebung ist ein Versand der Produkte zwar äußerst schwierig, man arbeite aber kontinuierlich daran.

Wer ihren Mann Vincent nach den Arbeitsschritten bei der Herstellung fragt, erfährt, dass viele Dinge von Erfahrung und Ausdauer bestimmt sind. Nein, er selber baut den Tabak nicht an, dafür gibt es noch einzelne Bauern, die für eine kleine, aber ausreichende Versorgung arbeiten. Vincents Aufgabe ist es, den Tabak im Trommelofen auf den Punkt zu trocknen, ihn traditionell sehr fein oder relativ grob zu schneiden und zu verpacken. Vor allem der richtige Feuchtigkeitsgrad sei für den Tabakgeschmack von enormer Wichtigkeit, erklärt er in seiner kleinen „Fabrik“ , die aus einem Kellerraum besteht.

Als die Manils sich vor einem guten Vierteljahrhundert dem Semois-Tabak verschrieben, taten sie es aus Leidenschaft und, wie sie zugeben, ohne wirklichen Plan. Sie lernten rasch dazu, tauchten immer tiefer auch in die Geschichte und die Geschichten um diesen Tabak ein, sammelten Erinnerungsstücke, Werbetafeln, alte Maschinen…kurz, sie verfielen der Leidenschaft, die auch letztlich für das Museum zum Thema sorgte.

Damit aber nicht genug. Die Tradition und der Einfluss des Semois-Anbaus auf die Region sind so spannend und zeitgeschichtlich relevant, dass die Manils auch ein Buch zum Thema geschrieben haben. Gerade in der heutigen Zeit sind Menschen, wie Gaetane und Vincent Manil äußerst selten geworden. Gaetane arbeitet zwar noch als Lehrerin, die Beschäftigung mit dem Tabak ist aber sicher eher Berufung, als Beruf. Sie leben Semois.

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Die Semoisblätter nach der Ernte im Trocknungsschuppen.

Wie soll man ihn nun charakterisieren, diesen ganz besonderen Tabak? In einer Zeit, in der viele Tabake mehr und mehr der Gesichtslosigkeit verfallen, weil sie allen und jedem gefallen wollen, ist der Semois ein Fels in der Brandung. Wer seinen Kaltgeruch mit Pferdemist vergleicht, liegt gar nicht so daneben. Vor allem die Variante im feinen Schnitt verträgt weder zu große Pfeifen, noch zu schnelles Rauchen. Er glimmt vorzüglich, daher reicht es, an der Pfeife zu nippen. Die Belohnung für die Rauchdisziplin ist ein feinfruchtiges und –pfeffriges, rauchiges Aroma von dunkler Würze und Dichte.

Vollmundig dürfte hier der passende Begriff sein. Ja, er ist kräftig und voller Erdigkeit. Vincent Manil betont ausdrücklich, dass dem Tabak keinerlei Zusätze beigegeben werden. Was man also schmeckt ist Tabak…sonst nichts. Mich erinnert dieser Semois ein wenig an die „Landtabake“, die man früher hierzulande kaufen konnte und die zumeist aus badensischem Anbau stammten. Ehrlicher kann Tabakgenuss nicht sein. Doch Obacht…er ist auch recht gehaltvoll. Wer ihn unterschätzt, kann mit Schweißtropfen auf der Stirn und grummelndem Magen rasch daran erinnert werden, dass der Semois dem Genuss dient, nicht der Völlerei. Um ganz sicher zu gehen, sollte man sich vielleicht mit rustikalen Köstlichkeiten aus der walonischen Region stärken und den Semois dann als krönenden Abschluss genießen.

Guten Appetit !

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Damals war Semois in aller Munde. Etikett für „die rote Taube“ (um 1910)

 

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