Lorenzo Tagliabue-Genie und Tragik

Zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts boomt die Massenproduktion der Pfeife. Sowohl auf den britischen Inseln, als auch in Deutschland und vor allem in Italien laufen die Maschinen auf Hochtouren, sind tausende Menschen durch die Pfeife in Lohn und Brot. Um diese Zeit und bereits etwas früher entstehen rund um Varese, in Norditalien, so bekannte Fabrikationen, wie Fratelli Lana (1900) und Fratelli Rovera (1911)in Gavirate oder, nur ein paar Kilometer entfernt, die Fabrik von Stefano Santambroggio (1910) in Gropello di Gavirate.

Zu diesem Zeitpunkt bereits gut im Geschäft ist die, schon 1886 gegründete, Fabrik von Ferdinando Rossi. Direkt um die Ecke, in Barasso, eilt der Mailänder Unternehmer zu diesem Zeitpunkt von Produktionsrekord zu Produktionsrekord.

Im gar nicht so weit entfernten Mailand beschließt die Familie Tagliabue, ebenfalls ins lukrative Pfeifengeschäft einzusteigen. Man streckt die Fühler aus und wird sich einige Zeit später mit den Gebrüdern Lana handelseinig. 1922 übernimmt die Famile Tagliabue die Mehrheit an der Lana-Fabrik in Galarate und setzt die Massenproduktion nahtlos fort.

Die „Skyscraper“. Einer, der mutigen Entwürfe, die für Lorenzo Tagliabue so typisch waren. Trotz ihrer Höhe sehr gut zu rauchen und mit einem vorbildlichen Mundstück ausgestattet.

Aus heutiger Sicht mag die Fixierung auf Massenproduktion befremdlich erscheinen. Doch, seinerzeit gilt es, die millionenfache Nachfrage nach preiswerten Pfeifen zu decken, die zur damaligen Zeit nichts anderes waren, als Verbrauchsartikel, mit denen man günstig der Leidenschaft frönen konnte. Individualismus war nicht gefragt. Die zu produzierenden Shapes mussten einfach sein, die verwendeten Materialien kostengünstig. Man muss sich vor Augen führen, dass seinerzeit von einer Fabrik, wie Rossi, täglich (!) bis zu 50.000 Pfeifen gefertigt wurden. Einzig Alfred Dunhill, im fernen London, hatte sich schon früh dazu entschlossen, den gegensätzlichen Weg zu gehen und auf auserlesenes Material und perfekte Fertigung zu setzen, um den (finanziell gut gestellten) Enthusiasten Objekte der Begierde bieten zu können.

Die Produktion bei Tagliabue läuft zu Beginn der dreißiger Jahre bereits sehr gut. Man hat gute Exportkontakte geknüpft und kann sich neben den Mitbewerbern gut im Markt behaupten. !938 beschäftigt man bereits 130 Menschen und expandiert weiter.

Nach Ende des zweiten Weltkriegs aber verändert sich die Situation. In Italien finden sich jetzt Leute, die ähnlich denken, wie Dunhill. Zumal die Massennachfrage durch die modern gewordene Zigarette merklich nachlässt. Achille Savinelli beginnt mit der Fertigung hochwertiger Pfeifen, den gleichen Weg geht nach 1953 auch Enea Buzzi, ein Freund Savinellis, mit der Firma „Brebbia“ oder auch Carlo Scotti, ab 1947, mit seinem Unternehmen „Castello“.

Vielleicht die bekannteste Lorenzo. Diese Form gab es als No.5, aber auch in der „Valgardena“-Linie mit kleinerem Kopf.

Deren Pfeifen fallen auch dem jungen Lorenzo Tagliabue auf. Er hat gerade sein Studium beendet und bemerkt die fallenden Stückzahlen auch im familieneigenen Betrieb. Ihm ist schnell klar, dass die Firma ein neues, individuelleres Konzept braucht, um sich vom Mitbewerb abzusetzen und ihre Produkte im Markt zu platzieren. In einem Markt, der sich von den Schrecken des Krieges langsam erholt und dessen Verbraucher nach neuen und schönen Dingen hungern. WAS dieser junge Mann aber in den folgenden Jahren leistet, das hat die Pfeifenhistorie bis heute weder hinreichend erkannt, noch gewürdigt.

Man stelle sich die vielen Hersteller auf dem Pfeifenmarkt vor, wie sie in großer Aufbruchsstimmung nach eigenen Wegen und Designs suchen, nach Besonderheiten in Form, Oberfläche und auch Image. Die aufstrebenden Dänen kommen dazu, deren Formempfinden die Pfeifenwelt beinahe auf den Kopf stellt. Die Claims werden abgesteckt. Die klassischen Shapes werden von den starken Engländern abgedeckt, dazu kommen die Linien des Hauses Savinelli und auch die deutschen Firmen um Vauen, Oldenkott und Dobbelmann mischen dort mit. In Sachen freierer Formen kommen Unmengen an Designideen aus verschiedenen Quellen und Ländern, es wird interpretiert, umgedacht und zum Teil auch abgekupfert…und das in einer, heute nicht vorstellbaren Menge und Geschwindigkeit.

Hier sind Originalstempel und Firmenzeichen gut erkennbar, da hervorragend erhalten.

 Lorenzo aber behält die Ruhe und findet zu einem völlig eigenen Design, dass über Jahrzehnte hinweg unverwechselbar bleiben soll. Kräftige Formen, schroffe Kanten, aber auch weich fließende Linien oder bewusste Überzeichnungen bekannter Klassiker werden zum Markenzeichen der Firma, die 1969 in LORENZO umbenannt wird und gerade in den, nach neuen Formen und Stilen gierenden 70er Jahren einen regelrechten Siegeszug antritt. Um das Jahr 1980 herum genießt Lorenzo gerade in der Studentenschaft den Ruf des Neuen, „Revolutionären“, so dass jeder Campus voll ist mit den Pfeifen aus Galarate und zwar in Studenten-und Professorenmündern. Speziell für den deutschen Markt und für Teile der eher klassischen Linien kommt die „Spitfire“-Reihe hinzu.

Eine, eher klassische „Spitfire“, bei der die schöne Holzzeichnung ebenso auffällig ist, wie der versetzte Doppelsattel am Mundstück.

Die doch oft reichlichen Kittstellen werden geschickt durch seidenmatte, patinierte Beizen in rot oder sanftem Orange überdeckt und die Rauchqualitäten genießen allgemein einen guten Ruf. Das Geschäft floriert und auch privat geht in Lorenzos Leben alles glatt. Er heiratet und das Paar bekommt eine Tochter, die Lorenzos ganzes Glück wird. Die positive  Lage macht ihn aber keinesfalls satt und träge, sondern beflügelt ihn zusätzlich. Für die „Spitfire“-Linie entwirft er klassische Formen, die man beinahe als Karikatur der Klassiker verstehen könnte, wären sie in ihrer Gesamtheit nicht so eigenwillig stimmig. Einzelne Entwürfe dieser Zeit, wie die Skyscraper, die Tugboat oder die Uncle Paul gelten heute selbst als Designklassiker. Zusätzlich baut er die „Titano-Linie“ aus. Das sind Pfeifen mit unglaublichen Ausmaßen, die zunächst nur belächelt werden, bald aber schon ihren eigenen Liebhaberkreis für sich gewinnen können.

Die „Tugboat“.Von vorn sieht dieser kräftige Entwurf tatsächlich wie ein Hafenschlepper aus.Hier sind vorn am Kopf die Kittstellen zu sehen, die Fans scherzhaft als „Originalitätsnachweis“ bezeichnen.Der guten Rauchbarkeit tun sie aber keinen Abbruch.

1983 geschieht dann die Katastrophe. Lorenzo Tagliabues über alles geliebte, kleine Tochter stirbt an einer Krebserkrankung. Er verliert quasi über Nacht den Sinn seines Lebens und den Halt. Von einem Tag auf den nächsten verlässt er die Firma, um nie mehr zurückzukehren. Er zieht sich von der Öffentlichkeit komplett zurück und verstirbt nach schweren Jahren 1987.

Zwar versucht die Firma Comoy zunächst, das Schicksal der Lorenzo-Pfeifen in die Hand zu nehmen, gibt das Unternehmen aber dann an die Familie Aliverti ab. Zunächst werden die höherwertigen Serien noch in Italien gemacht, bald schon werden aber auch sie in Albanien gefertigt, wie vorher schon der Rest des Programms.

Man versucht so, aus den Formen und dem guten Namen noch Kapital zu schlagen. Ohne das Mastermind Lorenzo Tagliabue ist die Firma aber nur noch ein Schatten ihrer selbst. Schlechte Rohstoffe und Verarbeitungen kommen dazu und bald schon ist vom einst guten Ruf nicht mehr viel übrig. Bisweilen finden sich auch heute noch Rauchgeräte mit dem  großen Namen im Angebot. Deren Qualität wird aber dem ehemaligen Ansehen nicht einmal mehr ansatzweise gerecht. Auf dem Estate-Markt bietet sich aber immer noch die Gelegenheit, relativ günstig an eine, dieser so ungewöhnlichen Pfeifen in solider Qualität zu kommen.

Lorenzo Tagliabue- ein Mann, dessen Genie und Leistung in Sachen Pfeife ebenso in Vergessenheit geraten ist, wie sein Name. Wahrlich eine tragische Figur der Pfeifengeschichte. An ihn zu erinnern, war mir hier und heute Herzenssache

Die Flakepfanne aus der „Titano“-Reihe. Wer diesen Riesen tatsächlich mit Flake befüllt, sollte sich für den restlichen Tag nichts mehr vornehmen.

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