
(Bild:Piber Tobak Danish Pipemakers)
Der Name Nielsen ist in Dänemark keine Seltenheit. Kein Wunder also, dass man ihn auch unter den dänischen Pfeifengrößen häufiger antrifft. So auch bei Hans „Johnny“ Nielsen, der Pfeifenwelt besser als „Former“ bekannt. Mitte der siebziger Jahre war Former der Betriebsleiter der Pfeifenfertigung bei Larsen in Kopenhagen. Es war die goldene Zeit der dänischen Pfeifenmacherei und viele junge Talente suchten ihren Weg in diese besondere, von Kunst und Design regierte Welt.
So auch ein sechzehnjähriger Bursche, der sich bei Former vorstellte, Pfeifenmacher werden wollte und ebenfalls den Nachnamen Nielsen trug. Tonni Nielsen.
Man weiß, dass Former stets ein Auge für Talente hatte und hat. Der junge Mann wurde eingestellt, verbrachte aber zunächst die meiste Zeit mit einem anderen Holz, als er erhofft hatte: mit dem Besenstiel. Nach und nach brachte Former den jungen Tonni an die Pfeifenmacherei heran. Zunächst waren es einfache Aufgaben in der Vorarbeit, doch Former erkannte, dass dieser Junge zu mehr in der Lage war. Es dauerte nicht allzu lange und Tonni wurde Pfeifenmacher in der Serienfertigung bei Larsen.
Es mag langweilig klingen, Tag für Tag Dutzende Billards, Bulldogs und Apples zu fertigen, Formen ständig und in Menge zu wiederholen. Doch, es macht den Pfeifenmacher formensicher, routiniert und schafft handwerkliche Erfahrung. Former war mit Tonnis Arbeit sehr zufrieden, Tonni hingegen begann sich zu langweilen. Eines Morgens lief ihm in der Etage über der Serienfertigung ein Mann über den Weg, von dem Tonni erfuhr, dass dieser Pfeifenmacher ausschließlich für die Freehandfertigung zuständig war. Der Name dieses Mannes war Teddy Knudsen und Tonni Nielsen war sofort Feuer und Flamme für dessen Aufgabe. DAS wollte er auch. Freihandformen entwerfen, Pfeifenkunst schaffen, Ideen umsetzen…doch, soweit war es noch nicht.

(Bild: Piber Tobak Danish Pipemakers)
Da sich Teddy und Tonni auch menschlich gut verstanden, nutzte Tonni von nun an jede Chance, um sich in der oberen Etage herumzutreiben, zuzuschauen und Ideen mit Teddy auszutauschen.
Kaum hatte Betriebsleiter Former das Haus für Außentermine verlassen, stand Tonni schon bei Teddy in der Werkstatt. Angeblich hat Former das nie bemerkt. Wer Former kennt, darf das bezweifeln. Es war wohl eher so, dass Former davon wusste, ein Auge zudrückte und auf den sich entwickelnden Hunger von Tonni setzte, endlich auch Freehands machen zu können. Von da an hatte Former keine ruhige Minute mehr. Ständig hing ihm der quengelnde und bittende Tonni in den Ohren. Irgendwann gab Former nach, Tonni packte sein Zeug und bezog eine Etage höher einen neuen Arbeitsplatz…in der Werkstatt seines Freundes Teddy Knudsen. Man kann heute noch gut erahnen, welche kreative Sprengkraft durch diese Kombination freigesetzt wurde. Damit sie zur vollen Entfaltung kommen konnte, bedürfte es eines klugen Vorgesetzten. Former war völlig klar, dass sich diese beiden „freien Radikale“ nicht an die kurze Leine nehmen ließen. Er setzte Tonni und Teddy eine Lieferbedingung von 9 Pfeifen, die sie pro Woche zu fertigen hätten…und ansonsten ließ er die beiden rebellischen Freigeister einfach machen, was sie wollten. Eine Entscheidung voller Souveränität und Empathie, die Former und sein Arbeitgeber Larsen nie bereuen sollten.

Teddy Knudsen und Tonni Nielsen ergänzten sich perfekt und wurden rasch gute Freunde. Beide liebten die Natur und ihre Inspiration, beide liebten aber auch zwei, drei gute Biere in der Mittagspause und die hübschen, dänischen Mädchen im Stadtpark. Man konnte dieses Team nicht in einen geregelten Ablauf pressen und versuchte es auch gar nicht. Doch, völlig egal, wie und wann die beiden arbeiteten…sie erfüllten stets mit hoher Disziplin ihr Soll und sie schufen Pfeifen, nach denen sich die Sammler alle zehn Finger leckten und die wirklich gute Preise erzielten. Ein Umstand, der sich bis heute nicht geändert hat. Die Jahre gingen ins Land und durch Formers Führung und Teddy Knudsens Einfluss entwickelte sich Tonni Nielsen zu einem Meister seines Fachs.

Als Tonni dann seine spätere Frau Barbara kennenlernte, stand für das Paar schnell fest, dass man in Barbaras Heimat umsiedeln würde. So zogen die Nielsens in die USA.
Der Einstieg dort war für Tonni kein Problem, da seinerzeit das dänische Design in den USA höchsten Stellenwert besaß und mehr als gefragt war. Wer nun allerdings erwartete, dass sich Tonni den Wünschen der amerikanischen Pfeifenfans anpassen würde, wer erwartete, dass er den ausgerollten Teppich betreten würde, um ein gefeierter Pfeifenstar zu werden, der sah sich getäuscht.
Der Mensch Tonni Nielsen interessierte sich nie für die Hypes der Pfeifenbranche, für Moderichtungen, die sich besonders gut verkaufen ließen, nie für die Möglichkeit, „gefällig“ zu arbeiten, um damit ans große Geld zu kommen. In einem Interview erklärte er einmal, dass Geld für ihn nicht so wichtig sei. Sein geistiges Wohlbefinden, die Möglichkeit, sein Leben so zu leben, wie er es sich vorstellt…diese Dinge seien ihm ungleich wichtiger. Tonni Nielsen hat stets nach diesem Grundsatz gearbeitet und gelebt und tut das noch heute. Ähnlich, wie sein alter Freund Teddy Knudsen ist er immer der freie Geist geblieben, ein Mann, der in keine Schablone passt und sich keine Zwänge auferlegen lässt.

Der Pfeifenmacher Tonni Nielsen ist ein, in sich geschlossener Kosmos. Perfekt in den Grundlagen ausgebildet und absolut stilsicher in klassischen Belangen. Er wird nicht müde zu betonen, dass er das der langen und gründlichen Ausbildung von Former und der Förderung und Forderung von Teddy Knudsen verdankt. Dazu kommt eine unglaubliche Kreativität, die Tonni schon zu Beginn seiner Laufbahn in sich hatte und die nur geweckt werden musste. Er würde es nie von sich sagen, man darf aber die Behauptung aufstellen, dass Tonni Nielsen vielleicht der gereifteste und kompletteste Pfeifenmacher der Welt ist.
Was macht nun seine Pfeifen aus? Es ist wohl die ganz eigene Harmonie. Besondere Details, Linien, die wie selbstverständlich in klassische Formen integriert sind. Seine Kleinst-und Feinstarbeit… bei der Anpassung des Holms, zum Beispiel.Tonni Nielsen war auch der erste, dänische Pfeifenmacher, der die Wichtigkeit des Mundstücks, seinen enormen Beitrag zum gesamten Design wirklich erfasste. Wurde dessen Ausführung in früherer Zeit gern etwas stiefmütterlich behandelt, setzte und setzt Nielsen sowohl in den Formideen, als auch in der Qualität der Ausführung neue Maßstäbe. Dazu kommen dezente, aber raffinierte Applikationen. Nichts wirkt aufgesetzt, nichts unnatürlich. Keine Showeffekte, keine Linie um des Auffallens willen. Jede Pfeife erweckt den Eindruck selbstverständlicher Perfektion. Dazu kommt Nielsens unglaubliches Auge fürs Holz, für Maserungsverläufe, Schattierungen und Farben. Wer ein Dutzend Tonni Nielsen Pfeifen sieht, sieht ein Dutzend Stilideen, Variationen ohne Grenzen, aber alles im Rahmen harmonischer Formfindung. Man sieht an jeder Pfeife, wie gewachsen, wie gereift dieser Mann und seine Arbeit sind.

Das ist übrigens der Punkt, den Nielsen in der heutigen Pfeifenszene sehr irritierend findet. Das Newcomer binnen kürzester Zeit zur Spitze gehören wollen und um des Erfolges willen lieber andere Stile kopieren, statt den eigenen Stil wachsen und sich entwickeln zu lassen. Das ist eine Entwicklung, die ein so kreativer Geist wie Tonni Nielsen nicht nachvollziehen kann. Weil dabei das Wesentliche, dass Besondere an der Pfeifenmacherei auf der Strecke bleibt. Die Möglichkeit, seine Vorstellungen, seine Ideen zu verwirklichen, seiner Phantasie Form zu geben.
Tonni Nielsen- ein besonderer, ein kreativer, ein quer denkender und eigensinnig handelnder Geist.
Eine aussterbende Spezies…leider.
