Wer in Büchern und anderen Publikationen von der Gründung der englischen Kolonie Virginia und ihrem Weg zur Tabakmacht liest, könnte den Eindruck gewinnen, dass diese Unternehmung durchdacht und von langer Hand exakt geplant war. Doch, weit gefehlt. Die Geschichte der Kolonie und ihre weitere Entwicklung steckte voller Irrungen und war zudem eine sehr entbehrungsreiche und blutige. Davon möchte ich heute erzählen.
Die Auffassung, wie die Welt und ihre Reichtümer aufzuteilen sei, war Mitte des sechzehnten Jahrhunderts noch sehr rustikal. Es zählte nur die militärische Macht eines Landes und die Skrupellosigkeit, mit der man bereit war, diese Macht einzusetzen. Möglichst viele, gut bewaffnete Schiffe, eine reiche Zahl an Soldaten und genug Gold, um diese Flotten und Armeen auszurüsten und zu unterhalten. So gewappnet konnte man sich auf den Weg zur Weltmacht begeben.
Da aber selbst in Königshäusern der Reichtum nicht unendlich ist und war, organisierte man Raubzüge und beutete neu entdeckte Länder gnadenlos aus, unterwarf sie mit Waffengewalt und hielt sie sich zukünftig als Kolonien.

Um 1580 herum war der Frust im englischen Königshaus groß. Die Spanier hatten dieses neue, große Land entdeckt (das es ein ganzer Kontinent war, wusste man zu diesem Zeitpunkt noch nicht), richteten unfassbare Blutbäder unter den Urvölkern an und schleppten alles, was von Wert und nicht niet-und nagelfest war, auf ihre Schiffe, um es heim ins spanische Königreich zu schaffen und so den Reichtum und die Macht der spanischen Krone zu stärken. Sogar die Franzosen hatten ein großes Stück dieses Landes (das spätere Florida) unter ihre Kontrolle gebracht und beuteten aus, was eben ging. Wieso sollte ausgerechnet das stolze England dahinter zurückstehen?
Der Umgang der noch unverheirateten, jungfräulichen Königin, Elisabeth der Ersten, war nicht immer vom Feinsten. Wenn es Macht und Reichtum versprach, waren auch Piraten und Sklavenschiff-Kapitäne gern gesehene Gäste bei Hofe. Einer, der gefürchtetsten Vertreter dieser Gattung war John Hawkins. Seine Berichte über spanische Schiffe, die bis zum Rand mit Schätzen gefüllt den Weg von Amerika zur iberischen Halbinsel antraten, ließ Elisabeth keine andere Wahl, als Patentbriefe auszustellen, die „zur Inbesitznahme von Ländern, die nicht von einem christlichen Herrscher besetzt sind, im Auftrage der englischen Krone“ berechtigten.
Der erste Kapitän, der mit solchem Brief ausgestattet wurde und die Chance bekam, sich für immer in die Geschichtsbücher einzuschreiben, war Humphrey Gilbert. Als Gilbert Anfang des Jahres 1583 mit seinem Schiff, der „Squirrel“ , zusammen mit drei Begleitschiffen unter großer Zeremonie den Hafen von Plymouth verließ, ahnte er noch nicht, dass er nie in die Heimat zurückkehren würde.
Zwar erreichte sein Verband die St.Johns Bay in Neufundland und nahm es für die Krone in Besitz, auf der Rückfahrt nach England wurde Gilberts Schiff aber in einem schweren Sturm so stark beschädigt, dass es mit Mann und Maus versank.

Unter den Freibeutern und wagemutigen Kapitänen, die die englische Königin umgaben, fand sich auch ein Mann mit hohen Ambitionen, scharfem Verstand…und schneidigem Aussehen. Kein Wunder, dass bei Hofe die Gerüchte um gingen, dieser ebenso gut aussehende, wie gefährliche Pirat hätte etwas mit der unverheirateten Königin. Wie auch immer, Elisabeth übertrug , nach dem Tod von Kapitän Gilbert, die Patentbriefe auf eben diesen Mann,Walter Raleigh.
Raleigh agierte klüger als Gilbert. Er sandte neun Monate nach dessen Tod unter den Kapitänen Amados und Barlow zwei Barken aus, um die amerikanische Ostküste nach Möglichkeiten der Anlandung und Inbesitznahme zu erforschen. Nach deren Rückkehr und ihren, positiven Berichten bereitete Raleigh unverzüglich eine zweite Expedition vor. Noch vor seiner Abreise schlug ihn Elisabeth Anfang 1585 zum Ritter. Dem so geadelten Piraten erlaubte sie, eine mögliche Kolonie ihr zur Ehre „Virginia“ zu nennen.

Am 09. April 1585 setzte eine Armada von sieben Schiffen vor Plymouth die Segel mit Kurs Amerika. Mit an Bord befanden sich 108 Siedler, die das zukünftige „Virginia“ führen und bestellen sollten. Ursprünglich war geplant, auch den berühmten Sir Francis Drake und seine „Golden Hind“ mitzuschicken, doch der war schon seit Monaten auf See und brachte Schiffe der spanischen Krone auf, um sie im Namen der englischen Königin zu plündern und zu kapern.
Am 26. Juni 1585 war es dann soweit. Auf der Insel Roanoke, an der Grenze zwischen dem heutigen North Carolina und Virginia, wurden die 108 Siedler unter der Führung von Ralph Lane an Land gebracht. Die englische Fahne flatterte in der Meeresbrise und „Virginia“ war gegründet- zumindest vorerst !

Ralph Lane schrieb in seinen Aufzeichnungen aber schon bald von aufkommenden Problemen. Es gab Streit zwischen den Siedlern und statt Nahrungsmittel anzubauen, begaben sich die meisten lieber auf die Suche nach Gold. Zudem war der, auf Roanoke ansässige Ureinwohnerstamm nicht gerade begeistert von den Eindringlingen. Zunächst blieb es bei Spannungen, als aber der Nachschub an Lebensmitteln aus England auf sich warten ließ und der Hunger immer größer wurde, überfielen die Siedler das Dorf der Indianer. Die Ausbeute in den Siedlungen war gering, die Feindseligkeiten erreichten dadurch aber ihren Höhepunkt. Im Sommer 1586 litt die Siedlerschaft unter einer massiven Hungersnot. Zufällig kam zu diesem Zeitpunkt Sir Francis Drake von Raubzügen aus Westindien und ankerte in Roanoke. Die Verzweiflung der Siedler war so groß, dass sie die Ansiedlung auf gaben und mit Drakes Flotte nach England zurückfuhren. Ganze drei Tage später trafen die ersehnten Nachschubschiffe in Roanoke ein. An Bord nicht nur Lebensmittel und Gebrauchsgüter, sondern auch 400 neue Siedler. Entsprechend überrascht war man, dass man die Ansiedlung menschenleer und verlassen vorfand.

So sehr man auch suchte und die Insel erkundete…es war kein einziger Siedler mehr aufzufinden. Der Kapitän, Sir Richard Grenville, entschloss sich daher, mit den neuen Siedlern nach England zurückzukehren. Als Standwache ließ er 15 Personen zurück, die nicht zurück nach England wollten oder konnten. Während Grenville die Segel Richtung Heimat setzte, wurde die zurückgelassene Gruppe von den aufgebrachten Ureinwohnern überrannt und getötet.
Am 17. Juli 1586 kehrte zunächst Grenville mit den 400 neuen Siedlern nach Plymouth zurück, zehn Tage später traf auch Sir Francis Drake mit seinen Schiffen und den 108 Erstsiedlern an Bord dort ein.
Als diese Erstsiedler wieder festen Boden betraten, staunte erst der Hafen und wenig später ganz England. Diese Siedler hatten nämlich lang genug auf Roanoke gelebt, um sich das Tabak rauchen aus Tonpfeifen bei den Indianern abzuschauen. Sie waren die ersten Menschen, die nun auch auf englischem Boden ihre Pfeifen rauchten. Eine neue Sitte, die sich wie ein Lauffeuer im Königreich herum sprach.
Im Folgejahr, 1587, startete man einen neuen Versuch und brachte 110 neue Siedler nach Roanoke. Wenigstens etwas hatte man dazugelernt. Unter den Siedlern waren auch 17 Frauen und 11 Kinder. Eine Abordnung wurde beim Stamm der Ureinwohner vorstellig und ernannte deren Häuptling zum „Lord of Roanoke“. Man bemühte sich um friedliche Kontakte, baute die verlassenen und verfallenen Häuser wieder auf und ein paar Tage später kam auf Roanoke das erste Siedlerkind zur Welt. Ein Mädchen, das auf den Namen Virginia getauft wurde. Der Großvater dieses Mädchens war der Vormann der Siedler, John White. Als die Schiffe am 28.August 1587 nach England zurückkehrten, fuhr White mit ihnen, um persönlich in England für den Nachschub der Siedler zu sorgen.

Was man auf den Schiffen noch nicht wusste, war, dass England zu diesem Zeitpunkt eine Invasion der spanischen Armada befürchtete. Als die Schiffe nach England zurückkehrten, dürfte keines davon Nachschub für die Siedler laden. Alles, was Segel hatte, musste der möglichen Verteidigung Englands zur Verfügung stehen. So sehr sich John White auch bemühte…ohne Schiffe war er machtlos. So wurde aus dem Nachschub für die Siedler vorerst nichts. Erst lange nach dem Winter, im April 1588, versuchten zwei kleinere Schiffe mit Nachschub, die Siedler auf Roanoke zu erreichen. Sie mussten aber der drohenden, spanischen Gefahr auf dem offenen Meer wegen umkehren. Erst zweieinhalb Jahre später gelang es John White, sich einer Kaperfahrt anzuschließen und mit etwas Material und sieben Leuten im August 1590 nach Roanoke aufzubrechen.
Was White und seine Leute dort vorfanden, waren eingerissenen, zerstörte Häuser und Anbauflächen. Von den Siedlern fehlte jede Spur. Bis heute ist ungeklärt, was aus den Menschen dort geworden ist. Mit ihrem Schicksal beschäftigen sich auch heute noch mehrere Forscher. So kehrten White und seine Leute nach England zurück. Der Wunsch nach einer englischen Kolonie auf amerikanischem Boden schien damit endgültig nicht in Erfüllung zu gehen.

Trotzdem wurden weiter Erkundungsfahrten unternommen und die gesammelten Erfahrungen führten zu der Überzeugung, dass eine Kolonialisierung nicht Sache einzelner Aktionen sein kann. Die Rufe nach Gründung einer Kompanie mit fest umrissenen Zielen wurde lauter.
Während jahrelang Verhandlungen geführt wurden, an deren Ende die „Virginia-Kompanie“ stand, verstarb im Jahr 1603 Königin Elisabeth und Jacob der Erste wurde ihr Nachfolger auf dem Thron. Die Virginia-Kompanie, mit einer Niederlassung in London und einer in Plymouth, gewann an Schlagkraft und Investitionsvolumen, weil man sie als eine Aktiengesellschaft führte und es genügend Investoren gab, die an der Ausbeutung Amerikas ihren Anteil haben wollten.
Im April 1606 bekommt die Kompanie den Patentbrief von König Jacob, im Namen der Krone die Ostküste Amerikas auszubeuten. Die Londoner Niederlassung, die daraufhin in „South Virginia Companie“ umbenannt wird, startet sofort die Vorbereitungen für eine neue Koloniegründung. Sie findet auch rasch einen erfahrenen Kapitän, der die Flotte leiten soll. Nein, es ist nicht Sir Walter Raleigh. Der ist nach dem Tode Elisabeths bei ihrem Nachfolger in Ungnade gefallen und wird unter einer fadenscheinigen Anklage des Hochverrats zum Tode verurteilt.

Auf die Vollstreckung des Urteils muss Raleigh aber noch über zwölf Jahre, im Tower eingekerkert, warten. In dieser Zeit schreibt Raleigh ein, heute noch beachtetes, fünfbändiges Werk über Naturwissenschaft und Weltgeschichte.
Als leitenden Kapitän der geplanten Unternehmung gewinnt man Christopher Newport, der schnell für die Sache zu begeistern ist. Andere Schiffe , Kapitäne und Mannschaften sind auch recht schnell gefunden. Was man aber nicht findet, sind aussiedlungswillige Bürger. Kein Wunder, haben sich doch die Schicksale der bisherigen Siedler bis in die letzte Schänke herumgesprochen. So ist kaum jemand bereit, sein Leben für vielleicht leere Versprechungen aufs Spiel zu setzen.
König Jacob aber ist ungeduldig. Er fordert Ergebnisse und Erfolge bei der Rekrutierung der Siedlerschaft. Nun begeht die Kompanie, unter königlichem Druck, zwei große Fehler. Einmal werden die Ansprüche an die Siedler deutlich heruntergeschraubt, handwerkliches oder bäuerliches Können sind nicht mehr Voraussetzung. Zum Zweiten startet man überall im Land Werbekampagnen, die verlogener nicht sein könnten. Von öffentlichen Bühnen im ganzen Land erzählen angebliche Kapitäne den Menschen die wildesten Geschichten vom Paradies in der Kolonie. „Selbst erlebte“ Wunder von Gold, fruchtbarem Land und willigen Frauen, vom leichteren und besseren Leben. Das führt zwar zu höheren Zahlen bei den Siedlerbewerbungen…es zieht aber vor allem Nichtstuer und Glücksritter an, die keineswegs vorhaben, für ihr Auskommen ernsthaft zu arbeiten, aber auf jeden Fall schnell Geld verdienen wollen.

Zwischenzeitlich kursieren die Geschichten des Entdeckungsreisenden Jaques Carrier in immer weiteren Kreisen. Er erzählt von dem seltsamen Tabakkraut, vom Rauchen aus der Tonpfeife und davon, wie sehr die Ureinwohner Amerikas auf diesen Tabak bauen, wie sehr sie ihn lieben und nutzen. Nicht nur zum Vergnügen und der Entspannung wegen, sondern auch für medizinische Zwecke und als Heilmittel für alle möglichen Erkrankungen. Es ist schnell festzustellen, dass jede dieser Geschichten die Menschen in England, ja, in ganz Europa immer neugieriger auf dieses Kraut machen. Sogar in Deutschland machen diese Geschichten die Runde…und werden vor allem von interessierten Bauern angehört, die in diesem Kraut eine Chance wittern. Doch, ohne Samen und ohne Erfahrung kann man es auf heimischer Scholle nicht anbauen.
Da die Werbungen um Siedler in England lange nicht den gewünschten Erfolg bringen, kommen die Werber auch nach Holland, Polen…und Deutschland. Jetzt sehen einige Bauern ihre Chance und unterschreiben für die Überfahrt. Tabakbauer in der neuen Welt- ein spannendes Ziel.
Am 20. Dezember 1606 stechen die Schiffe von Plymouth aus erneut in See. An Bord 140 Kolonisten, das Ziel ist die Ostküste Amerikas. Damit dieses Mal nichts schief geht, haben Fachleute genaue Anweisungen ausgearbeitet, die man den Siedlern mit auf den Weg gibt.
Ob sie diesen Anweisungen aber wirklich folgen?
Davon möchte ich Ihnen im zweiten Teil erzählen- wenn Sie Lust haben.
