
Es regnet und ist kalt in Varese, an diesem Morgen im März 1945. Auf einer Bank am Bahnhof sitzt ein Mann, der ganz in Gedanken versunken ist. Obwohl er noch jung ist, liegen bewegte Jahre hinter ihm. Vor zwei Jahren hat er an der Universität von Bocconi in Mailand seinen Abschluss in Rechnungswesen gemacht. Dann zwangen ihn die Kriegswirren, das Jahr 1944 in den Bergen, bei den Partisanen, zu verbringen. Jetzt hat er eine Stelle beim Elektrizitätswerk in Varese angetreten und nebenbei einen Handel mit Gebrauchtwagen gegründet. Doch, das reicht ihm nicht. Das Feuer, etwas zu erreichen, das in ihm brennt, ist vielleicht genetisch bedingt?
Schon sein Großvater, Achille, war ein Mann mit großen Plänen. Er baute in den Jahren 1890-1893 ein Elektrizitätswerk in Brebbia bei Varese. Damit ließ sich nicht nur die familieneigene Baumwollspinnerei mit Strom versorgen, sondern auch die umliegenden Dörfer. Der junge Mann denkt auch an seinen Vater Carlo Andrea, der eben diese Baumwollspinnerei groß und erfolgreich machte, zusätzlich eine Weberei gründete und auf gutem Weg war, bis…ja, bis er in der Folge der Weltwirtschaftskrise das Unternehmen nicht mehr halten konnte. 1929 begannen schwere Jahre und sie sind noch nicht zu Ende, an diesem Märzmorgen des Jahres 1945.

Der junge Mann schreckt aus seinen Gedanken hoch, weil seine Pfeife, eine Rossi, schon wieder ausgegangen ist. Der Regen ist schuld und unser Denker überlegt, wie man dafür eine Lösung finden kann. Daheim entwirft er eine Hängerpfeife mit Deckel. Eine Pfeife , in die ein Gesicht geschnitzt ist, aus dessen Nasenlöchern der Rauch austritt. Seinerzeit sind solche figürlichen Pfeifen sehr gefragt, vor allem bei den amerikanischen Soldaten. „Man müsste seine eigenen Pfeifen machen“, geht es ihm durch den Kopf. Schließlich boomt die Pfeife allerorten und im Kreis Varese gibt es schon lange erfolgreiche Produzenten.
Bereits 1856 gründete die Familie Piotti in Molina di Barasso eine Pfeifenfabrik. Auf, mit Tretkurbeln betriebenen Drehbänken fertigte man Pfeifen aus Birnen-Apfel- und Kirschholz. Mit Mundstücken aus Ochsenhorn. 1896 kam Ferdinando Rossi hinzu. Seine Firma befand sich ebenfalls in Molina, allerdings setzte er ausschließlich auf das, seinerzeit neue, Bruyereholz. Rossis Fabrik sollte zur größten Pfeifenfabrik der Welt werden.

Unserem jungen Mann ist aber durchaus aufgefallen, dass sich jetzt, zum Ende des Krieges, ein Wandel vollzieht. Vor allem die amerikanischen Soldaten sorgen für die zunehmende Bekannt- und Beliebtheit der Zigarette und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Pfeife als hauptsächliches Rauchgerät abgelöst wird. Die Zeiten werden schwerer werden, man wird die Pfeife neu positionieren müssen. Doch, gerade diese Herausforderung reizt unseren kommenden Jungunternehmer. Die Welt soll seinen Namen kennen: Enea Buzzi ! Seine Pfeifen sollen besonders in Qualität und Design sein. Einziges Problem…man braucht dazu Geld !
Nach Kriegsende, ein paar Wochen später, führt Enea ein langes Gespräch mit seinem Onkel Bernardo. „Bernardo Papa“, wie er genannt wird, ist ein drahtiger, kleiner, scharfsinniger Mann, der mit klugen Geschäften in London ein Vermögen gemacht hatte. Enea erläutert seine Pläne und zeigt Bernardo seine Entwürfe. Der kluge Bernardo findet Gefallen an der Idee und sorgt sofort für gute Voraussetzungen. Als Räumlichkeiten für die Pfeifenproduktion richtet man den Anbau des Elektrizitätswerkes her, das zeitgleich auch die Firma kostenfrei mit Strom versorgt. Die Maschinen werden angeschafft und Bernardo hat noch eine Idee ! Seine Nichte ist in Mailand mit einem gewissen Achille Savinelli verheiratet. Dessen Familie betreibt in Mailand einen bekannten Laden für Pfeifen, Zigarren und Tabak und trägt sich ebenfalls mit dem Gedanken, eigene Pfeifen zu produzieren. Enea Buzzi und Achille Savinelli lernen sich kennen und schätzen. Beide Herren erweisen sich aber auch als kluge Köpfe.

Sehr schnell nach Beginn der gemeinsamen Arbeit stellt man nämlich fest, dass die Auffassungen bezüglich Marketing und Produktionslinien so unterschiedlich sind, dass man sich trennt, bevor es zu Ärger und Streitereien kommt.
Achille Savinelli schnürt sein Bündel, zieht ein paar Straßen weiter und eröffnet seine eigene Firma. Enea Buzzi reist zunächst nach London, um sich auf die Suche nach neuen Kundenkreisen zu begeben.
Der Start der Firma MPB ist nach seiner Rückkehr recht erfolgreich. Onkels Geld hilft dabei zwar sehr, Enea Buzzi erweist sich aber sehr schnell als guter und fähiger Unternehmer. Zudem beweist er ein feines Gespür für die Designs, die der Markt bevorzugt. Ideen hat er genug, dieser Enea und Energie auch. Als 1954 ein Brand zwar zum Glück das Kraftwerk verschont, die Fabrik aber stark verwüstet, baut Buzzi nicht nur wieder auf, er verwirklicht auch viele Ideen, um die Produktion zu verbessern.

Nicht alle Neuerungen stoßen auf Gegenliebe beim Pfeifenraucher. Im Jahr des Brandes kauft Buzzi eine Gießerei, um einen Pfeifensockel aus Aluminium zu fertigen. Da das Pfeifenmodell erfolglos bleibt, behält Buzzi die Firma trotzdem, um dort Teile für Firmen anderer Branchen zu fertigen, um so ein zweites Standbein zu schaffen.
Zusätzlich zur Pfeifenproduktion gründet er mit anderen Gesellschaftern 1967 eine Firma für Heißgetränkeautomaten. Die Pfeife bleibt trotzdem sein Hauptinteresse. Im selben Jahr wechselt der Firmenname von MPB zu BREBBIA. Besondere Maschinen und Verarbeitungstechniken machen schon zu dieser Zeit möglich, dass Brebbia durch ungewöhnliche und einzigartige Formen und Oberflächen auf sich aufmerksam macht.

Neue Wege geht man auch in Punkto Werbung. 1968 ruft die Firma Brebbia im Sportstadion von Varese zur ersten „Langsamrauch-Meisterschaft“ auf. Die Beteiligung ist rege und bald gibt es solche Wettbewerbe auch in anderen Ländern. Buzzis Idee geht auf. Man hat nämlich eine Firmenmannschaft aus besonders erfahrenen Rauchern gegründet, die an diesen Meisterschaften mit großem Erfolg teilnimmt. So geraten der Firmenname Brebbia und die Pfeifenmodelle des Hauses vielerorts in den Fokus der Aufmerksamkeit derer, auf die es ankommt.

Die 70er Jahre führen endgültig zu einem Umbruch in der Pfeifenwelt. Die Kunden werden weniger, dafür deutlich anspruchsvoller. Brebbia versucht durch eine Reihe von Innovationen dass Interesse an ihren Pfeifen hochzuhalten. 1978 tritt eines der Kinder von Enea Buzzi, Luciano Buzzi, der Firma bei. Luciano hat zunächst sein Studium der Architektur zu Ende gebracht und bekommt nun den Auftrag, durch die Welt zu reisen. Er soll neue Trends erforschen, herausfinden, wie die Pfeifenraucher in den jeweiligen Ländern „ticken“ und sich mit den wesentlichen Leuten bekannt machen. Dann erfolgt seine Ausbildung zur Unternehmensführung und ab Mitte der 80er Jahre übernimmt er nach und nach die Geschicke von Brebbia.

Sein erstes Pfeifenmodell, die „79“, entwirft er schon 1979. Seine Formenideen und sein Anspruch sollten Brebbias Angebot in den folgenden Jahrzehnten prägen. Natürlich stand und steht die gute Rauchbarkeit einer Pfeife an erster Stelle. Doch, als Architekt war und ist er auch immer für außergewöhnliche Pfeifen gut. Die Schönheit einer Pfeife, ihre Fähigkeit, auch etwas über den Raucher auszusagen…das wurden und sind wesentliche Punkte bei einer Brebbia-Pfeife. So entstanden Modelle, wie die Naif, die Diseguale, die Calabash oder die Oom Paul. Zusätzlich gab es ab 1980 zunehmend Filtermodelle, da man Deutschland als wichtigen Absatzmarkt mehr und mehr in den Fokus nahm.

Über all`die Jahrzehnte war es Enea Buzzi immer auch wichtig, die Pfeifen der anderen Hersteller zu sichten, einzuschätzen und zu verstehen. Er kaufte diese Pfeifen stets, um sie daheim in Ruhe studieren zu können. Mit den Jahren kam so eine sehr große Zahl an Pfeifen zusammen. 1992 suchte Enea einen endgültigen Platz für diese Sammlung und schuf das Pfeifenmuseum in der Nähe der Brebbia-Produktionsstätte. Dort war er auch in den Jahren, in denen er seinen Ruhestand genießen konnte, noch häufig zu Gast. Die Faszination für die Pfeife hat ihn bis zu seinem Tod begleitet. Enea Buzzi verstarb in der Nacht zum 11.09. 2020, im gesegneten Alter von 96 Jahren.

Leider werden die Bedingungen für die Pfeifenproduzenten in den letzten Jahren immer schwieriger. Mein letzter, persönlicher Kontakt zum Hause Brebbia bestand in einem längeren Gespräch mit Luciano Buzzi auf der Intertabac in Dortmund, im Jahr 2018. Da war er noch guter Dinge, was den Fortbestand des Unternehmens anging. Zum Ende des Jahres 2019 machte allerdings das Gerücht die Runde, Brebbia habe seine Produktion geschlossen. Die schwierige Lage der letzten beiden Jahre ließ es bislang auch nicht zu, Klarheit zu erlangen. Hoffen wir, dass die Probleme nur vorübergehender Natur sind und der Pfeifenraucher sich auch in Zukunft an der Qualität und Formenvielfalt der Pfeifen aus Molina di Barasso erfreuen kann.
