REES-DIE VERGESSENE HOCHBURG DER PFEIFE

TEIL 1

„Rees-ein Zentrum der deutschen Pfeifenindustrie“. So konnte man noch zum Ende der 70er Jahre in Fachpublikationen lesen. Heute, gut vierzig Jahre danach, ist davon nichts geblieben. Noch nicht einmal ein ehrendes Andenken der Stadt, die der Tabak-und Pfeifenfertigung so viel zu verdanken hat. Warum es so war und warum letztlich davon nichts blieb, soll Inhalt dieses Zweiteilers sein Begleiten Sie mich, wenn Sie mögen, bei einer Reise durch die große Pfeifengeschichte des Niederrheins.

Nachdem Rees 1678 von den Franzosen an den Kurfürsten von Brandenburg zurückgegeben wurde, verlor das Städtchen an Bedeutung und an lukrativen Handelsverbindungen. Der Einbruch war über die Jahre so massiv, dass um 1740 gerade mal noch knapp 2000 Menschen dort lebten. Die zu Beginn des 18.Jahrhunderts einsetzenden Reformen griffen nur langsam, die ständigen, kriegerischen Auseinandersetzungen waren auch nicht förderlich und so begann für Rees erst ein zaghafter Aufschwung, als der Ort 1810 erneut dem französischen Kaiserreich zugeschlagen wurde. Allmählich siedelten sich kleinere Fabriken mit ihren Produktionen an. Baumwollspinnereien, Woll- und Strumpfproduktion, vor allem aber Tabak-und Zigarrenindustrie sorgten zunehmend für Aufwind.

Historischer Blick auf den Bahnhof Empel-für die Reeser Firmen lange Zeit das Tor zur Welt

Erste, gesicherte Zahlen über den Anbau von Tabak am Niederrhein stammen aus der Zeit um 1838. Der oft sandige Lehmboden schuf gute Bedingungen und so wurden in Esserden, Bergswick, Speldrop, Reesereyland und bei Rees entsprechende Felder bestellt. Der Tabak war zur puren Verarbeitung aber nicht von ausreichender Qualität. Um mit ihm produzieren zu können, mussten überseeische Tabake zugemischt werden, deren Einfuhr aufgrund der enorm gestiegenen Steuerlast aber schlichtweg zu teuer war. So exportierte man den niederrheinischen Tabak ins nahe Holland, wo er weiterverarbeitet und beigemischt wurde. Einige Missernten und zunehmende Verringerung der , durch die Steuerlast zu teuren Anbauflächen sorgten aber dafür, dass um 1900 nur noch etwa 50 Tabakpflanzer verzeichnet waren. Zudem wurde deren Aufgabe immer komplizierter, weil das Qualitätsbewusstsein des Kunden stieg und dadurch die Pflege und Bearbeitung anspruchsvollerer Tabaksorten immer aufwendiger wurde.

Bei der verarbeitenden Tabakindustrie sah es da schon deutlich besser aus. Gab es um 1730 mit DE NOMIS nur einen Produzenten von Schnupftabak und auch nur einen bekannten Tonpfeifenbäcker, so besserte sich die Lage um 1840 herum deutlich. In Rees und zahlreichen anderen Städten an der holländischen Grenze gab es in diesen Jahren Neugründungen von Zigarrenproduktionen und Tabakherstellern. Selbst, als um 1870 die Steuerlasten immer höher und willkürlicher wurden, erlebte die dortige Tabakindustrie ihre Blütezeit. 1900 standen dort 424 Arbeitnehmer in Lohn und Brot, wobei allein Oldenkott 300 davon beschäftigte.

OLDENKOTT

Kehren wir zurück ins Jahr 1838. Eine der ersten Tabak-und Zigarrenfabriken, die in Rees sesshaft wurden, war das Unternehmen von August Kersten. Er erwarb Anteile der Firma Heinrich Oldenkott sen.& Companie in Weesp, sowie deren Filiale in Elten. Schon 1850 war Kersten finanziell in der Lage, auch den Rest der Firma Oldenkott zu übernehmen. Ein taktisch geschickter Schachzug. Oldenkott produzierte zu diesem Zeitpunkt schon seit 90 Jahren Tabake und hatte, dank einer Filiale in Holland, auf dem dortigen Markt einen guten Absatz. Außerdem sicherte sich Kersten so die Möglichkeit, günstig Rohtabake zu importieren. Ab 1853 firmierte Kersten offiziell unter OLDENKOTT OHG. Sein Betrieb war ausgesprochen zentral in der Wasserstraße gelegen. Zum damaligen Zeitpunkt kamen die Rohtabake in Ballen oder Fässern ausschließlich über den Wasserweg aus Holland. Das sicherte schnelle und problemlose Lagerung der Rohware zu. Fertige Produkte wurden von der Fabrik aus mit Pferdefuhrwerken zum Bahnhof nach Empel transportiert. Das war aufwendig, da Rees zu dieser Zeit noch nicht über einen Bahnanschluss verfügte. Das Unternehmen florierte, die Oldenkott-Tabakmarken gelangten in kurzer Zeit zu Weltruf. „Kiepenkerl“, „Madastra“, „Knirps“ und „Piet Hein“ waren derart gefragt, dass die Fabrik auf Hochtouren lief! Die um 1871 einsetzende Konjunkturkrise schüttelte zwar auch Oldenkott ordentlich durch, doch da Oldenkott seit 1870 eigene Tabakplantagen in Besitz hatte, federten die kostengünstigeren, eigenen Rohtabake die Verluste erträglich ab.

…auch Oldenkott partizipierte an der deutschen Kolonialpolitik

1897 erhielt das Oldenkott-Werk dann einen eigenen Bahnanschluss, der einige Erleichterung brachte. Die fertigen Produkte mussten nicht mehr umständlich nach Elten gebracht und dort umgeladen werden und auch die Rohtabake kamen nun per Bahn , was schneller und wirtschaftlicher war.

Der Kiepenkerl. So luxuriös brachte man an der Wende zum 20.Jahrhundert seinen Tabaknachschub unter.

Von 1900 bis 1908 konnte man von wieder deutlich steigender Nachfrage sprechen, danach setzten aber die Reichsfinanzreform und der zunehmende Zigarettenkonsum der Firma Oldenkott massiv zu. Zwischen 1910 und 1914 war der Mitarbeiterstamm auf gerade einmal 150 Leute geschrumpft. Der erste Weltkrieg schien das Schicksal vieler, gebeutelter Betrieb zu besiegeln. Zwar konnte man Aufträge für die Lieferung an Marine und Heer bekommen, doch, die wirtschaftlichen Folgen am Ende des Krieges und die immer höhere Geldentwertung brachten viele Hersteller und Lieferanten ans Limit und letztlich zur Aufgabe. Nicht so Kersten…er setzte alles auf die Karte der möglichen Erholung und Expansion. Die Firma zog unmittelbar nach Kriegsende von der Wasserstraße zum Melatenweg um, da dort deutlich mehr Platz zur Verfügung stand. Zeitgleich wurden in Straelen und Anholt zwei neue Zigarrenfabriken gebaut. Von 1919 bis 1920 gab es sogar eine Niederlassung in Köln, diese schloss man aber wieder und investierte in eine andere Niederlassung in Grieth.

Sicher der bekannteste Oldenkott-Tabak weltweit. Es gab ihn in den Varianten „Silber“,“Gold“ und „Altgold“

Unglaublicher Mut und manche Finanzierung auf Messers Schneide sorgte in der Familie Kersten sicher für einige, schlaflose Nächte…man hatte aber verstanden, dass man nur bestehen konnte, wenn man auch am internationalen Markt konkurrenzfähig war.

Von 1921 bis 1923 entstand so am Melatenweg in Rees die modernste Tabakfabrik Deutschlands. Mit eigener Druckerei und einem Zollager, mit leistungsfähigen Gleisanschlüssen und sogar eigener Wasser-und Stromversorgung. Dazu kam bis 1928 noch ein fünfstöckiger Betonbau, der der Rohtabaklagerung diente. Das war aber nur ein Teil der Baumaßnahmen.

Luxusausgabe einer Oldenkott-Serie aus den 70er Jahren. Mit Silberring und bewusst „very british“.

Ebenfalls verstanden hatte man bei Oldenkott, dass erfahrene und zufriedene Mitarbeiter den Löwenanteil an der Qualitätssicherung ausmachten. Bis zum Jahr 1935 baute man an der Empelerstraße die seinerzeit vielbeachtete „Oldenkott-Siedlung“, um damit den sozialen Belangen der Mitarbeiter gerecht zu werden und die Wohnungsnot zu lindern. Ähnlich, wie Rossi in Italien, wollte man so für eine stärkere Identifizierung der Arbeitnehmer mit ihrem Betrieb sorgen. Aus ähnlichen Gründen schuf man eine firmeneigene Sparkasse, eine Krankenkasse und eine Pensionskasse.

Ein weiterer, entscheidender Schritt wurde 1932 gemacht. Man schloss die Zigarrenfabrik an der Weselerstraße, baute sie um und fortan hieß es:“ Zum guten Oldenkott-Tabak die gute Oldenkott-Pfeife.“ Man machte dort also nun auch die eigenen Bruyerepfeifen und während alle übrigen Tabakproduzenten, die auch auf Schnupftabak und Zigaretten setzten, zu dieser Zeit deutliche Einbußen verzeichneten, hatte Oldenkott mit Zigarre, Pfeifentabak und nun Pfeifen auf das richtige Pferd gesetzt. Einzig die Firma Brinkmann konnte da noch mithalten, weshalb sich in den Folgejahren zwischen den beiden Firmen ein heftiger Konkurrenzkampf entwickelte.

Einmarsch der Alliierten in Rees, am 25.März 1945

Der 2. Weltkrieg setzte den Erfolgen Oldenkotts zunächst ein Ende. Die Pfeifenfabrik in der Weselerstraße wurde durch Bombentreffer restlos zerstört, die Gebäude am Melatenweg waren durch Artilleriebeschuss massiv beschädigt , hatten zudem 70% ihrer Dächer verloren. Die Lage war übel, doch, der Wille des Unternehmens ungebrochen.

Dank einer unglaublichen Energieleistung der verbliebenen Mitarbeiter wurde am Melatenweg nicht nur wieder aufgebaut, sondern zusätzlich noch Raum für die Pfeifenproduktion geschaffen. Schon Mitte September 1945 konnte der Betrieb teilweise wieder aufgenommen werden.

Die Pfeifenproduktion lief auf Hochtouren, man bot etwa 60 verschiedene Modelle an, deckte den Markt von der „Gebrauchspfeife“ bis zur Luxuspfeife ab und hatte Erfolg. 1950 erreichte Oldenkott einen Marktanteil von 40% und war damit Marktführer in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt wies die Firma mit 500 Personen auch den höchsten Personalstand des Firmenbestehens auf.

Blick in die Qualitätskontrolle (ja, so etwas gab es noch !) und Packerei bei Oldenkott 1963

1958 verstarb Wilhelm August Kersten und seine Söhne, zunächst August, danach Theodor übernahmen die Firmenführung in einer schweren Zeit. Die Zigarette eroberte mehr und mehr Marktanteile, die Versuche Oldenkotts, auch in diesem Markt erfolgreich zu sein, schlugen fehl.

Bis 1966 hatte sich das Unternehmen dem veränderten Markt angepasst, es war sinnvoll modernisiert und sozialverträglich Personalbestand abgebaut worden. Zu diesem Zeitpunkt übernahm mit Peter Kersten die dritte Generation die Führung des Unternehmens.

Kleine Oldenkott „Nicofry“ (9mm Filter) aus den späten 60er Jahren.Umgeben von zeitgenössischem Raucherzubehör.

Kurz zuvor hatte der (bis heute umstrittene) „Terry-Report“ ordentlich Staub aufgewirbelt. In ihm wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Rauchen von Zigaretten und Lungenkrebs festgestellt, was zu kräftigen Einbrüchen bei der Zigarettennachfrage führte, zeitgleich aber einen Boom der Pfeife und ihrer Tabake auslöste. Die Nachfrage überstieg die Produktionskapazitäten deutlich und um 1970 gab es erstmalig Wartezeiten für Pfeifenkäufer. Bei Oldenkott wurde praktisch rund um die Uhr gefertigt und man erreichte eine Produktionsstärke von 40-44000 Pfeifen pro Monat (!) Das sicherte in Deutschland einen Marktanteil von 70% und machte Oldenkott zum größten Pfeifenproduzenten in Europa !

Im Gegensatz dazu war der Tabakabsatz seit Jahren rückläufig und man hatte sich schon vor einigen Jahren mit dem holländischen Großproduzenten Niemeyer zu einer Vertriebskooperation zusammen geschlossen. Im Oktober 1972 schlug dann eine Nachricht im Pfeifenmarkt ein, die kaum jemand erwartete-nicht einmal die Mitarbeiter. Oldenkott wurde an Niemeyer verkauft.

In den 80ern hatten sich Pfeifenstil und Werbung merklich geändert

Laut Niemeyer sollte so der Oldenkott-Tabak durch konkurrenzfähige Verbindungen gestützt und die Pfeifen im internationalen Markt mehr und besser etabliert werden. Große Worte, denen (wie wir heute wissen) kaum sinnvolle Taten folgten. Bereits zwei Jahre später schloss Niemeyer die Tabakproduktion in Rees, um sie nach Düsseldorf zu verlagern und kündigte eine deutliche Reduzierung der Pfeifenproduktion an. Dazu verlegte man die Pfeifenmacherei mit 36 Pfeifenmachern in die leer stehende Volksschule in Esserden.

Der Bedarf an großen Pfeifen stieg in den 70ern merklich. Tabak war erschwinglicher, die Rauchgewohnheiten passten sich an.

Die Verwirrung um das bevorstehende Ende von Oldenkott wurde komplett, als Peter Kersten 1987 die Firma zurückkaufte und die Pfeifenmacherei wieder in die alten Räumlichkeiten am Melatenweg verlegte. Händlerschaft und Kunden waren aber, ob des Chaos der vorangegangenen Jahre, derart verunsichert, dass ein Erfolg ausblieb. Im Juni 1992 wurden die Tore bei Oldenkott zum letzten Mal geschlossen. Im Jahr 2013 versuchte ein Kölner Rechtsanwalt eine Wiederbelebung . 2012 war das Schutzrecht des Namens abgelaufen und so bot er Pfeifen mit dem berühmten Schriftzug an. Dazu zum Ende des zweiten Teils noch etwas mehr.

Soweit der erste Teil über Rees als ehemalige Pfeifenhochburg und die Firmen, die daran beteiligt waren. Im zweiten Teil gibt es die Geschichte der Firma Dobbelmann. Es würde mich freuen, wenn Sie wieder dabei sind.

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